Manche Dinge kann man nicht lernen, sagt Sepp Wurzenrainer (Foto). „Man hat sie im Blut. Und das kommt vom Herzen." Deshalb, so der Chef der Pistensicherheit am Hahnenkamm, stehe er jedes Jahr hier: „Die Streif ist ein Stück von mir." Und weil man was man wirklich liebt hin und wieder kurz nicht mögen darf, stellt der Landwirt aus Kitzbühel gotteslästerliche Flüche in Tirols Bergwelt: Hinter dem Fangzaun, am Waldrand, steht eine Beschneiungslanze. „Die sollte längst weg sein!"

Wurzenrainer ist für Zäune, Matten und sonstiges Randinventar auf der Streif verantwortlich. Kollegen rufen ihn „Chief". Aber „Chief" betont er sei nur ein Witz: „Ich bin ein kleines Zahnrad."

Foto: Thomas Rottenberg

Wurzenrainerartige „Zahnräder" gibt es viele auf der Streif: Gut 30 Pistenbauer, erklärt Herbert Hausner (Foto, in der Mausefalle) als „Pistenchef" des Hahnkammrennens für das Fundament zuständig, stellt der Skiclub Kitzbühel. Dazu kommen 40 Mitarbeiter der Sicherheitscrew, etwa 100 Soldaten des Bundesheeres und - für einen Tag - ein Standard-Redakteur. Das Bundesheer kam eine Woche vor den Rennen. Schon davor hatten Hausners Leute 25 Maschinen- und 58 Manntage am Konto. Die Vorarbeiten („Die Grundpräparierung hat Anfang Dezember begonnen.") nicht eingerechnet.

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Aber so, betont der 38-jährige Zimmermann, dürfe man das nicht sehen: „Jeder gibt alles - und wenn die Abfahrt ausfällt, tut das weh." Aber Sicherheit, betont Hausner, gehe vor „wir wollen niemanden gefährden - das Risiko ist ohnehin groß." Das beweisen nicht zuletzt die jährlichen Diskussionen, ob die Strecke (heuer) zu gefährlich sei. Der Pistenchef zeigt auf die Kante des Zielsprunges: „Eine Gratwanderung: Fünf Zentimeter höher - und alle sagen, ‚lebensgefährlich'. Fünf weniger - und alle jammern ‚langweilig'." Und von wo aus die fünf Zentimter zu messen sind, sei keinesfalls klar: „Heuer ist die Strecke ruhig. Aber das ist relativ: Die Streif ist nie leicht - und es gibt immer Fahrer und Funktionäre, denen es nicht passt."

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Da die FIS die Strecke aber am Samstag abnahm, ist der Auftrag an die Pistencrews klar: Weg mit bremsenden Schnee. Die Streif hat pickelhart und spiegelglatt zu sein. Darum stellt auch keiner der vier Grundwehrdiener des 24. Hochgebirgsjägerbataillons, die mit ihrem Oberwachtmeister die Einfahrt zur Mausefalle bearbeiten, den Sinn von Schippen und Schaufeln in Frage. „Es ist geil, dabei zu sein," schnauft HTL-Absolvent Dominic und schaufelt, als käme der erste Läufer in zwei Minuten. „Seinen" Schneehaufen haben er und alle, die im Hang arbeiten, bei der Abfahrt an die Einsatzplätze mit den Skiern zusammen geschoben.

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Wobei „Abfahrt" hochtrabend klingt: Auch gute Skifahrer rutschen hier seitlich. Und Schneeschieben verwendet keiner als Ausrede: „Nie im Leben", erklärt Chief Wurzenrainer, würde er die Streif in Kampflinie fahren: „Wir machen das Bühnenbild." Obwohl Österreichs steilste Bühne im Fernsehen zahmer wirkt, als aus der Pistenrandperspektive. Im Hang kommen dann noch ein paar Grad dazu: Ohne Steigeisen ist Stehen unmöglich. Eine falsch abgelegte Schaufel ist ein potenziell tödliches Geschoß. Ski (trotz Stopper) auch. Und nach zwei Schaufelstunden den Hang hinauf, zum Tee im Keller des Starthauses, zu „gehen" ist wie Eisklettern ohne Kraft - aber mit schmerzendem Rücken.

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Bloß: Das Rutschen und Wegschaufeln hört nicht auf. Jeden Morgen liegt ein dünner Schneefilm auf der Piste. Normale Skifahrer würden ihn gar nicht bemerken. Aber die Streif, überschlägt Wurzenrainer, ist 3,5 Kilometer lang und durchschnittlich 40 Meter breit. Auch ohne Schneefall kommen jeden Tag zwei bis drei Zentimeter Schnee zusammen - das macht (inklusive Slalomhang) rund 45 Kubikmeter am Tag. Also 315 in der Woche.

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Das meiste wird händisch entfernt. „Lüge! Ich bin eine Maschine", protestiert Grundwehrdiener Christoph (in 70 Tagen wird er wieder Maturant sein). Und, darauf sei er stolz: „Die Streif ist ein Stück österreichische Identität." Schneeschaufeln fürs Vaterland, meint Gebirgsjäger Christoph (HAK-Absolvent) klinge zwar pathetisch, sei aber nicht ganz falsch. Und spannender als Kasernenalltag: „So nah kommen wir nie wieder ran."

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Obwohl Nähe relativ ist. Neben dem Schaufeln ist Vereisen eine der Haupttätigkeiten der Helfer. Früher per Feuerwehrschlauch, heute mit händisch gezogenen „Sprühbalken" (rechts im Bild). Doch vor allem gilt es...

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...Zäune zu bauen: 10 Kilometer Fangzaun, zahllose Matten und 750 Meter „Luftzaun" (luftgefüllte Bandenelemente) müssen montiert werden - und nach dem Rennen wieder verschwinden. Echte Knochenarbeit, sagt Grundwehrdiener Christof (Installateur) - aber unvergesslich: „Wer kann schon sagen: Ich habe die Streif gemacht." (Thomas Rottenberg, DER STANDARD Printausgabe 19.01.2009)

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