Test mit Spezialbrille: Blickspuren am Fahrplan und bei der Bahnsteigsuche

DER STANDARD/ Christian Fischer
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Wien - Der Auftrag war ein einfacher: "Fahren Sie zum Westbahnhof, finden Sie heraus, wann der nächste Zug nach Unterpurkersdorf fährt, kaufen Sie eine Fahrkarte, und gehen Sie zum Bahnsteig."

Dass die Durchführung nicht ganz so einfach werden würde, war aber auch klar; schließlich ist der Westbahnhof derzeit eine einzige riesige Baustelle. Tatsächlich zeigte sich: Einer, der die neuen Verhältnisse nicht kennt, scheitert mehrfach - und zwar glorios.

Der Unterpurkersdorf-Reisende irrt nach dem Aussteigen von der U3 bereits im unterirdischen Zwischengeschoß herum, fährt die Rolltreppe hinauf, hat vor der Niedermeyer-Filiale keine Ahnung, wo es weitergeht, verzweifelt am Fahrplan, tippselt ewig am Fahrkartenautomaten herum, kommt endlich zum an sich richtigen Bahnsteig - liest dort aber nur: "Nicht einsteigen."

Das Besondere an diesem Test: Er wurde mit den Methoden der Blickforschung aufgezeichnet und danach analysiert. Zwei Kameras an einer Spezialbrille zeichneten jeden Blick und jede Augenbewegung auf. Ernst Pfleger, Geschäftsführer der Blickforschungsgesellschaft viewpointsystem kann aus den Ergebnissen exakt ablesen, was der Proband sah und was nicht, wo wie lange sein Blick verweilte - und mehr noch: Anhand der Lidschläge kann sogar festgestellt werden, wann die Testperson entspannt war und wann im Stress.

Pfeile auf dem Boden

Die erste deutlich erhöhte Suchaktivität wurde bei der Ankunft im Zwischengeschoß aufgezeichnet. Der Blick tastet sich an den Wänden entlang, irrt an der weißen Wand herum, wo früher die Rolltreppen zum Bahnhof führten. Wo der Blick nie hinfällt - ist der Boden. Ausgerechnet dort sind gelbe Pfeile angebracht, auf denen "ZU DEN ZÜGEN" steht.

Blickforschungsmäßig ist das doppelt problematisch: "Bodenpfeile sind hier absolut wirkungslos. Wenn viele Menschen unterwegs sind, kann man die Pfeile unmöglich sehen", erläutert Pfleger. Vor allem aber: "Hinweise müssen immer verständlich sein. Je mehr Piktogramme man einsetzt, desto besser. Ein Zugsymbol mit einem Pfeil funktioniert immer." Was soll auch ein japanischer oder amerikanischer Tourist mit "ZU DEN ZÜGEN" anfangen?

Oben dann das gleiche (Augen-) Spiel: Auch hier suchen die Blicke vergeblich nach Hinweisen. Und wenn die dann auch nicht einmal auf der Videoaufzeichnung zu sehen sind, muss grundsätzlich etwas falsch gelaufen sein. Ist es auch - wenn die Hinweisschilder parallel zur Gehrichtung angebracht sind.

Eine längere Stressphase dann bei den Fahrplänen. Rasche, hin und her wandernde Blicke - auch hier zeigen die Aufzeichnungen, was die Suche zusätzlich erschwert: Vieles ist wegen der Lichtreklame, die sich im Glas spiegelt, gar nicht lesbar. Pfleger weiß aus vergleichbaren Erfahrungswerten: "Die Zeit, die fürs Fahrplanentziffern aufgewandt wurde, ist katastrophal."

Noch schlimmer und noch stressiger der Kampf mit dem Fahrkartenautomaten. Selbst einer, der das System der ÖBB-Automaten kennt, muss die einzelnen Schritte mehrfach korrigieren.

Bahnsteige ohne Hinweise

Dann die Suche nach dem richtigen Bahnsteig: Dass man jetzt seitlich kommt und die Aufschriften in der großen Bahnhofshalle natürlich nicht mehr sehen kann, wurde einfach ignoriert. Am Bahnsteig 4 dann nur noch der Hinweis, dass man nicht einsteigen soll. Dass der Reisende trotzdem am richtigen Ort ist und der gerade eingefahrene Zug noch der Schnellbahn Platz machen wird, wissen Insider.

"Bei der Orientierung sind kontinuierliche Informationsketten das Um und Auf", bilanziert der Blickforscher. Derartige Verwirrungen könne man vermeiden, wenn Pläne im Vorfeld von Experten begutachtet - und fertige Projekte noch einmal getestet würden. (Roman David-Freihsl/DER STANDARD, Printausgabe, 14.1.2009)