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Berlin/Budapest/Madrid/Warschau/ Paris - In Osteuropa sind derzeit nicht nur Obdachlose vom Kältetod bedroht. In Ungarn sind bei Temperaturen um minus 20 Grad in den vergangenen Tagen zehn Menschen in der eigenen Wohnung erfroren, weil sie ihre Heizkosten nicht bezahlen konnten. Der sozialistische Ministerpräsident Ferenc Gyurcsany schlug daher am Samstag ein Gesetz vor, wonach Energieversorger soziale Einrichtungen verständigen müssen, wenn jemand seine Heizkosten nicht bezahlen kann. Hilfsorganisationen zufolge erfrieren jeden Winter bis zu 400 Menschen, 80 Prozent davon in ihren Wohnungen.

In Rumänien gibt es ein ähnliches Problem. Dort versuchen Behörden verstärkt, per Hausbesuch festzustellen, ob jemandem mit Brennstoff auszuhelfen ist. Doch allein seit Anfang Jänner sind 43 Menschen erfroren. Mehrheitlich soll es sich dabei um Obdachlose gehandelt haben, für die es nur wenige Notunterkünfte gibt.

80 Menschen erfroren

In Polen, wo diesen Winter bereits mehr als 80, zum Großteil auf der Straße lebende Menschen in der Kälte umkamen, sind von den 2200 Plätzen in 33 Notunterkünften dagegen nie alle belegt. Der Grund, warum viele Bedürftige die Asyle meiden, sind meist die dort herrschenden Regeln: Alkoholverbot, Duschpflicht, ärztliche Untersuchungen. Auch in Frankreich, wo rund 100.000 Menschen obdachlos sind, meiden viele der "Sans-Domicile-Fixe" die Notschlaflager - etwa wegen schlechter Behandlung durch das Personal. Im Pariser Stadtwald Bois de Vincennes (über)leben Dutzende in Zelten und Wellblechhütten.

Am mit minus vier Grad kältesten Tag des Jahres in Madrid war vergangenen Freitag der Bedarf an Schlafstätten auf einem Rekordwert. Alle 1302 Betten der Sozialhilfe waren belegt. Der Madrider Sozialdienst mietete sogar zwölf Hotelzimmer an. In Barcelona starb ein Obdachloser an Unterkühlung. In der Regel ist nur rund ein Viertel der Schlafstellen belegt. Einige Obdachlose fürchten bestohlen zu werden.

Das hält auch in Berlin viele Bedürftige davon ab, ein Hilfsquartier zu beziehen. Die Stadt reagiert darauf mit einem mobilen Angebot: Ein "Kältebus" klappert die Orte ab, an denen sich viele Obdachlose aufhalten. Zunächst wird versucht, die Menschen zur Übernachtung in einem Quartier zu bewegen. Wollen Sie nicht, bekommen sie dicke Schlafsäcke.

Italiens Obdachlosen macht neben den ungewohnt niedrigen Temperaturen vor allem das wachsende Klima sozialer Kälte zu schaffen. Die Lega Nord will alle Personen ohne festen Wohnsitz registrieren - ein Vorhaben, das von der katholischen Kirche als "grotesk" verurteilt wird. Vor dem Stadttheater in Genua erfror ein Clochard, weil die Polizei seine Decken beseitigt hatte. In Mestre wurde Freiwilligen untersagt, Obdachlose am Bahnhof mit Tee zu versorgen. Die "populistischen Maßahmen" zahlreicher Bürgermeister führten zu "wachsender Intoleranz gegen Arme", warnt die Caritas. So zündeten in Rimini vier Jugendliche "zur Unterhaltung" im Park einen Clochard an. (bau, brae, gl, kl, man, mu/DER STANDARD-Printausgabe, 12.1.2009)