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Muzicant, weltliches Oberhaupt der Juden Wiens, weist Aussagen des Chefs der Islamischen Gemeinschaft zum Nahost-Konflikt vehement zurück: "Ich hoffe, dass sich Anas Schakfeh in etwas verrannt hat."

Foto. reuters/prammer

STANDARD: Die Plattform "Free Gaza from Hamas", bei der sich auch die Israelitische Kultusgemeinde engagiert, ruft am Montag zu einer Kundgebung in Wien auf. Wird man Sie dort auch antreffen?

Muzicant: Ja - und ich werde auch sprechen. Und als Erstes möchte ich dann gleich klarstellen, dass ich nicht der Botschafter des Staates Israel bin. Das mache ich für alle Antisemiten im Land, die mich als Jude in Schmähbriefen beflegeln und mich dafür zur Verantwortung ziehen wollen, was derzeit im Nahen Osten geschieht.

STANDARD: Wann immer dort die Lage eskaliert, haben Sie sich sehr offen und bereitwillig zu Ihrer Solidarität mit Israel bekannt. Ist das in Ihrer Rolle als Präsident der Kultusgemeinde tatsächlich erforderlich?

Muzicant: Dazu muss man das Judentum verstehen: Seit Jahrtausenden sind wir ein verfolgtes Volk wie kein anderes. Vor 60 Jahren haben wir einen Staat für uns gegründet. Und alles, was wir Juden wollen, ist, auf diesem Stück Erde in Ruhe zu leben. Daher fühlt man sich, wo man auch lebt, diesem letzten Zufluchtsort verbunden.

STANDARD: Dennoch könnten Sie jetzt auch ein Zeichen mit Palästinenser-Vertretern setzen, dass man hier friedlich miteinander auskommt. Warum fällt das beiden Seiten selbst in Österreich so schwer?

Muzicant: Wir waren immer bemüht, mit der muslimischen Glaubensgemeinschaft alle Dinge, die uns gemeinsam betreffen, zu besprechen. Außer den Nahost-Konflikt: Da gibt es völlig diametrale Positionen. Und dazu gehören für mich auch die Aussagen, die der Präsident der Islamischen Gemeinschaft, Anas Schakfeh, unlängst in Ihrer Zeitung getätigt hat. Etwa, wenn Schakfeh meint, im Mittleren Osten kenne man keinen Antisemitismus. Bitte, die arabischen Medien strotzen doch nur so vor Antisemitismus! Und auch, dass man Israel die Existenzberechtigung quasi abspricht - nein, da hoffe ich wirklich, dass sich Schakfeh damit in etwas verrannt hat. Denn ich bin überzeugt, dass all das nicht die Meinung der Mehrheit der Muslime in Österreich ist.

STANDARD: Haben Sie Schakfeh deswegen schon kontaktiert?

Muzicant: Ich will da jetzt keine öffentliche Konfrontation führen. Aber: 80 Prozent der Muslime in unserem Land sind im Prinzip türkischer Herkunft - und werden von Doktor Schakfeh im Grunde gar nicht vertreten.

STANDARD: Gibt es eigentlich Hinweise, dass es zwischen Österreich und der Hamas Verbindungen gibt?

Muzicant: Definitiv. Es gibt immer wieder Leute, die in Österreich für Hamas werben und Geld sammeln. Aber die Details dazu erfragen Sie bitte im Innenministerium.

STANDARD: Viele internationale Stimmen verurteilen dieser Tage Israels Einsätze in Gaza als "unverhältnismäßig". Wie sehen Sie das?

Muzicant: Schauen Sie: Ich habe hier ein Video, das zeigt, dass Hamas 12-jährigen Buben das Hantieren mit Sprengstoff beibringt. Da wird auch gezeigt, wie Hamas ihre Waffen in Schulen in Gaza lagert ...

STANDARD: Warum lässt Israel in Gaza keine unabhängigen Beobachter zu, die darüber berichten könnten? So aber ist die internationale Staatengemeinschaft ständig auf die Propaganda-Informationen beider Seiten angewiesen.

Muzicant: Israel will der palästinensischen Propaganda aber anders entgegentreten. Im israelischen Fernsehen werden Sie nie die Opfer von Anschlägen sehen - weil es der jüdischen Einstellung widerstrebt, das aus Achtung vor deren Leben als Propagandamaterial zu missbrauchen. Im arabischen Fernsehen aber sehen Sie ständig Bilder von getöteten Kindern.

STANDARD: Es gäbe in diesem Zusammenhang auch gute Gründe, Israels Politik zu kritisieren: Dass durch die Einsätze sehr viele Zivilisten leiden. Dass dadurch regelmäßig die palästinensische Infrastruktur in Schutt gelegt wird. Ist das alles nicht auch dadurch ein völlig aussichtsloser, tödlicher Kreislauf?

Muzicant: Israel kämpft gegen den islamistischen Terror, steht aber bis zu einem gewissen Grad diesem menschenverachtenden Phänomen genauso hilflos gegenüber wie alle anderen westlichen Staaten. Denn gegen Bombenanschläge und Selbstmordattentate kommt man mit unseren westlichen Werten ins Hintertreffen.

STANDARD: Wie kann es jemals Frieden geben, wenn die terroristische Hamas 2006 zwar mit absoluter Mehrheit gewählt wurde, aber niemand mit ihr verhandeln will?

Muzicant: Diese Situation ist für beide Seiten unbefriedigend. Am Ende jedes Konflikts gibt es furchtbar viele Tote und Verletzte. Und niemandem ist damit geholfen und niemand kann sich damit abfinden. Ich glaube aber, dass Israel einen friedlichen Weg finden will, der den Terror gegen Süd-Israel beendet, indem arabische oder europäische Beobachter eingebunden werden.

STANDARD: Zurück nach Österreich: Der Dritte Nationalratspräsident Martin Graf (FPÖ), Mitglied der als rechtsextrem eingestuften Olympia, hat sich ein Team ins Parlament geholt, von dem ein Teil auch zweifelhafter Gesinnung ist. Hat für Sie das offizielle Österreich darauf bisher angemessen reagiert?

Muzicant: Nein. Ich finde das Verhalten von SPÖ und ÖVP in der Angelegenheit zutiefst enttäuschend. Ich verstehe bis heute nicht, dass sie die FPÖ und ihre Vertreter als normale demokratische Partei sehen. Angesichts der Vorwürfe gegen Graf und seiner Mitarbeiter ist seine Wahl zum Präsidenten jedenfalls nicht etwas, das man als Betriebsunfall abtun kann. In dieser Frage wäre einfach mehr Haltung gefragt gewesen. Und so darf man sich dann nicht wundern, wenn Österreich von internationaler Seite bis heute als Nazi-Land apostrophiert wird. (Nina Weißensteiner/DER STANDARD-Printausgabe, 10./11. Jänner 2008)