Wien - Steht man im Vorarlberger Unterland nächtens auf einer Anhöhe, blickt man auf einen fast durchgehenden Lichterteppich. Von Bregenz bis Dornbirn und darüber hinaus ist kaum ein blindes Fleckchen zu erkennen, auch noch der allerletzte Winkel ist durch abertausende Lichter ausgeleuchtet. Schön eigentlich. Und auch wieder nicht. Denn die Dichte an sortierten Vorgärten bedeutet auch Enge. Es werde viel getratscht. Mitunter reiche es, dass das falsche Auto vor der Tür parkt, erzählt Claudia Larcher, 1979 in Bregenz geboren.

Nie länger als drei Tage halte sie es daheim aus, gesteht sie. Ein Fluchttrieb, der ihre Beschäftigung mit den psychosozialen Strukturen ihrer Heimat, mit Provinz und Scheinidylle auslöste. Sie bemerkte, dass es dabei nicht um die Familie geht, sondern "um Hausstrukturen und Nachbarschaftsverhältnisse, um diesen kollektiven Druck". Auf ihren Fotomontagen und filmisch animierten Fotocollagen verheiraten sich landschaftliche Weite und kleinbürgerliche Enge. Kleine Schrebergartenhütten trotz weiter grüner Flur, wo Wohnwägen neben Bambis vor sanfter Alpenkulisse grasen und das Kruzifix überm Eingang die Denkrichtung vorgibt: Nachbarn. Vogel-Krah-Krah und Windsäuseln sorgen für die Prise Mulmigkeit in der beklemmenden Kulisse.

Gruselschocker

"Ich wollte nicht unbedingt einen klassischen Horrorfilm machen", sagt Larcher über HEIM - für ihre Diplomarbeit an der Angewandten erhielt sie 2008 den Preis der Kunsthalle Wien. Kein Gruselschocker ist HEIM also. Trotzdem studierte Larcher alte Hitchcock- und Lynch-Werke und das Splatter Genre, um mit formalen Mitteln - Schnitt, Close-ups und Sound - dem unangenehmen Gefühl in ihrem Elternhaus nachzuspüren: den "Wurzeln der Beklemmung".

Eine Spurensuche, für die sich die Kamera um die eigenen Achse zu drehen scheint; eine Fahrt vom Dachboden zum Keller, vom Sutterlüty-Sackerl am Dachsparren bis zur Ersatzküche im Keller.

Immer tiefer bohrt sich die Kamera in die Ländle-Seele - wie ein Apfelstecher ins Gehäuse.

Und auch wenn Stricken angeblich das neue Yoga ist, sind Larchers wunderbare Handarbeitsbilder keine Trendware, sondern Abarbeitungen an der Bastel- und Häuslbauer-Mentalität. Hatte sie früher ihre Leinwände mit Porträts - schreienden Grimassen - bestickt, rattert nun die Nähmaschine über moderne Motive.

Bagger, Kräne und Schraubenmuttern setzt sie in Kontrast zur traditionellen Technik, aber Ton in Ton mit der Leinwand. Um die Motive zu erkennen, muss man der Idylle allerdings gefährlich nahe kommen. Bis 18. 1. (Anne Katrin Feßler/DER STANDARD-Printausgabe, 10./11. Jänner 2009)