Sara Alkan betreute in Damaskus traumatisierte Irakerinnen. Foto: Alkan

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Wien/Damaskus - Rund 4,5 Millionen Iraker sind auf der Flucht. Die Hälfte von ihnen im Irak, der Rest im Ausland. "Ich glaube nicht, dass den Österreichern bewusst ist, wie groß das Ausmaß dieser Flüchtlingskatastrophe ist", erzählt die gelernte Arabisch- und Französischdolmetscherin Sara Alkan, die zu Weihnachten aus Damaskus zurückkehrte, wo sie fast ein Jahr lang für das UNHCR und die Caritas ein Heim für irakische Frauen aufbaute und leitete.

Der Großteil der irakischen Flüchtlinge, nämlich 1,5 Millionen, befindet sich derzeit in Syrien, obwohl das Land selbst von Armut geprägt ist. Die Länder in der Region - neben Syrien haben Jordanien, der Libanon, Ägypten und Iran hunderttausende Iraker aufgenommen, sind laut UNHCR am Limit. Der Staat Syrien kommt für Schulbesuche und medizinische Grundversorgung auf, den Rest erledigen NGOs.

Alkan konnte in dem Frauenhaus, das im Mai offiziell eröffnet wurde und bisher 65 meist schwer traumatisierte Frauen und Kinder aufnahm, die psychologisch betreut werden, schon nach kurzer Zeit Erfolgserlebnisse beobachten: etwa die Entwicklung einer Siebenjährigen, die an einen Nachtklub verkauft worden war und dort "aufgrund fehlender Papiere" verhaftet wurde und in eine Jugendhaftanstalt kam. "Von dort kam sie ohne Eltern zu uns. Sie war in ihrem Verhalten wie eine junge Frau", erinnert sich Alkan, "es hat mich sehr berührt, wie sie nach zwei Monaten kindlich geworden ist und ganz natürlich mit anderen Kindern gespielt hat".

Ein anderer "schöner Moment" war jener, als eine 50-jährige Frau ihr US-Visum erhielt. Wer ein solches Visum in Händen halte, habe gleichzeitig ein abgeschlossenes Asylverfahren und "weiß, dass sie dort arbeiten und leben kann". Das sei ein großer Unterschied zu jahrelangen Asylverfahren, während denen Menschen etwa in Österreich in Ungewissheit leben. Auch Kanada und skandinavische Staaten ersparten den Flüchtlingen langwierige Verfahren. Aber auch das Engagement dieser Staaten vor Ort sei der 34-jährigen Alkan "positiv und fortschrittlich" aufgefallen. "Eine Vertreterin der finnischen Botschaft kommt persönlich zu den Flüchtlingen ins Frauenhaus und veranstaltet Informationsabende", erzählt die ehemalige Caritas-Mitarbeiterin.

Vom Modell einer finanziellen Patenschaft für Flüchtlinge durch Privatpersonen, wie es das Innenministerium in Österreich plant (siehe Artikel oben), hält Alkan wenig: "Die Frauen, mit denen ich zu tun hatte, brauchen zwei Dinge: eine Perspektive nach sechs Jahren der Perspektivenlosigkeit und eine Balance zwischen Aufgehoben-Sein und der Motivation, sich selbst etwas aufzubauen. Dieser Entwurf begünstigt beides nicht."

Andere Patenschafts-Modelle

Es gebe allerdings andere Patenschafts-Modelle: So nahm etwa der kanadische Staat 2008 selbst 2000 Irak-Flüchtlinge auf, und etwa gleich viele wurden von "privaten Institutionen" finanziert. "Diese Flüchtlinge erhalten genau dasselbe staatliche Förderprogramm, es wird nur von anderer Seite bezahlt", so Alkan. Die Gefahr persönlicher Abhängigkeiten bestehe dabei nicht.

Alkan betreute in ihrem Heim "Akademikerinnen und Analphabetinnen, Musliminnen und Christinnen". Die Idee, nur christliche Iraker in Österreich aufzunehmen, sieht sie skeptisch: "Sicher sind Christen eine Minderheit im Irak, die es schwerer hat. Aber Österreicher, die sie aufnehmen wollen, weil sie glauben, Christen könnten schneller integriert werden, unterliegen einer Illusion. Die Konfession spielt im Alltag nicht so eine große Rolle wie die arabische patriarchalische Kultur. Wir betreuten etwa auch eine Christin, die von der Familie verstoßen wurde, weil sie ein uneheliches Kind hatte."  (Colette M. Schmidt/DER STANDARD, Printausgabe, 9.1.2009)