Für die Europäische Union und ihre 500 Millionen Einwohner wird es ein spannendes Jahr: Mit Tschechien übernimmt ein Land den EU-Vorsitz, in dem sich der Präsident weigert, den Lissabonner Vertrag zu ratifizieren und die EU-Flagge aufzuziehen. In die Zeit der tschechischen EU-Präsidentschaft im ersten Halbjahr fallen die Europawahlen, bei denen sich zeigen wird, wie viele Wähler das Projekt EU zu den Urnen locken kann. Erst für das zweite Halbjahr ist eine erneute Abstimmung zum Lissabonner Vertrag in Irland geplant, bei der Weichenstellungen für die Zukunft der Gemeinschaft auf dem Spiel stehen.
Allen Schwächen zum Trotz: Der Vertrag räumt dem EU-Parlament mehr Rechte ein und stärkt die Bürgerrechte. Es ist ein erster Schritt, weitere müssen noch folgen. Aber es ist kein Rückschritt für die EU.

Denn wer mit Abstand die Entwicklungen der vergangenen Jahre betrachtet, muss zu dem Schluss kommen: Es haben sich europäische Wunder ereignet. 2009 jährt sich der Fall der Berliner Mauer und des Eisernen Vorhangs zum zwanzigsten Mal. Inzwischen sind zehn Staaten, deren Gebiet früher zum Ostblock gehört hat, Teil der EU. Österreich ist das einzige Land, das gleich an vier neue EU-Staaten grenzt.
Von politischer und populistischer Seite wurden vor dem Wegfall der Schlagbäume gewarnt: Sämtliche Kriminelle Osteuropas, viele davon bewaffnet, würden in Scharen über die offenen Grenzen nach Österreich strömen. All die Befürchtungen sind nicht eingetreten: Die Kriminalitätsrate ging laut Innenministerium zurück, die Arbeitslosigkeit ist gesunken.
Wer in Österreich arbeiten will, ist längst da. Deshalb ist auch die heuer anstehende Verlängerung der Beschränkungen für osteuropäische Arbeitskräfte in Österreich eine Farce. Aber die SPÖ-ÖVP-Regierung wird sich nicht trauen, die Grenzen in diesem Bereich auch zu öffnen. Das wäre Wahlkampfmunition für FPÖ und BZÖ für die Europawahl und die Landtagswahlen in vier Bundesländern. Dabei muss der Arbeitsmarkt 2011 ohnehin geöffnet werden.

Derzeit sind alle Parteien auf dem euroskeptischen Tripp. Vor allem die Grünen begeben sich damit auf ein Terrain, das ohnehin schon gut besetzt ist. Damit hat die Kronen Zeitung nach Jahren des EU-Bashings erreicht, was sie erreichen wollte: Alle haben sich ihrem Druck gebeugt.
Jetzt ist aber der unerwartete Fall eingetreten, dass die Österreicher ihre Liebe zur EU wiederentdeckt haben. Wie das Eurobarometer zeigt, ist das Vertrauen der Österreicher in die EU im vergangenen halben Jahr deutlich gestiegen: 47 Prozent der Österreicher glauben, dass die EU-Mitgliedschaft Vorteile bringt. Im Juni waren es nur 36 Prozent. Die Krone hat nicht berichtet.

Der Grund dafür ist die Finanzkrise: Es hat sich auch in Österreich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Probleme nicht in einem Land allein gelöst werden können: Wenn die Autoindustrie in den USA und in anderen Ländern Europas leidet, spüren das auch österreichische Zulieferer.
Die EU zeigte in der Krise, dass sie zu geschlossenem Handeln fähig ist. Es wurde der Rahmen für koordiniertes Vorgehen abgestimmt: Zwar rettet jeder Staat seine Banken selbst und schnürt sein eigenes Konjunkturpaket, aber die Konturen des Plans sind überall gleich, sodass niemand einen Vorteil auf Kosten des anderen suchen kann.
Dass es in Zeiten wie diesen besser ist, unter einem europäischen Schirm zu leben und auf Veränderungen innerhalb der Union zu drängen, scheint für immer mehr Menschen in Österreich klar zu sein. Ob sich die Politiker dem anschließen oder lieber den Vorgaben von Onkel Hans folgen, wird das Jahr 2009 zeigen. Das wird spannend. (DER STANDARD, Printausgabe, 3./4.1.2009)