Wien - Das Raketenabwehrsystem ist die große Saga der Ära Bush. Sie war die eine große Idee des Gouverneurs aus Texas, eingegeben von den Kalten Kriegern aus der Zeit der Ford- und Reagan-Administrationen, die dem Sieger der Präsidentschaftswahlen vom November 2000 beigestellt wurden, und sie hat mühelos die Zäsur von 9/11 übersprungen. George W. Bush ist mit ihr ins Weiße Haus gezogen, er verlässt es auch wieder mit einem deutlich ausgereifteren Plan für einen Raketenschild, der die USA und - eher nebenbei - einen Teil Europas schützen soll. Barack Obama, seinem Nachfolger, bleibt das Erbe von Bushs Raketenobsession: der Niedergang der russisch-amerikanischen Abrüstungsdiplomatie.

Diplomatische Waffe

Denn die Idee des Raketenschilds hatte ihren Preis. Mit der Kündigung des ABM-Vertrags, 1972 zwischen der damaligen Sowjetunion und den USA zur Begrenzung strategischer Abwehrsysteme geschlossen, brach Washington im Dezember 2001 einen Eckstein aus dem Rüstungskontrollregime beider Staaten. Ein sehr viel mächtigerer, nun auch international autoritär auftretender Wladimir Putin hat das geplante amerikanische Raketenabwehrsystem mit Teilen in Osteuropa im Lauf der Jahre zur diplomatischen Waffe gewendet. Russlands Ausstieg aus dem KSE-Vertrag zur konventionellen Abrüstung in Europa war eine Folge, ebenso der anhaltende Widerstand gegen die Nato-Osterweiterung, die angekündigte Raketenstationierung in Kaliningrad und der Krieg gegen das nach Westen orientierte Georgien im August dieses Jahres.
Im Dezember 2009 läuft nun das Start-1-Abkommen zur Begrenzung strategischer Atomwaffen aus. Die Obama-Administration wird einen Teil ihrer Energie dar_auf verwenden, den Russen in den kommenden Monaten eine Verlängerung schmackhaft zu machen. Noch Anfang Dezember hatte die scheidende Bush-Regierung einen Versuch unternommen, über einen neuen Start-Vertrag zu verhandeln. Die Gespräche scheiterten, in erster Linie weil sich Amerikaner und Russen nicht einigen konnten, ob nur operationell aktive Sprengköpfe gezählt werden sollen oder gleich alle Trägersysteme, die Atomsprengköpfe tragen können; in Wirklichkeit war Moskau aber nicht mehr an einem Handel mit der Bush-Administration interessiert.

Die Russen hoffen auf mehr Kompromisse von Obama. Dieser hatte als Präsidentschaftskandidat in einem Interview mit Arms Control Today immerhin angekündigt, er strebe eine „dramatische Verringerung" des nuklearen Arsenals bis zum Ende seiner Amtszeit an. Das Start-1-Abkommen von 1991 legte für beide Seiten vor allem eine Obergrenze von 1600 bei Raketen und strategischen Bombern, also Trägersystemen, mit maximal 6000 Sprengköpfen fest.

Das Sort-Abkommen von 2002, das einzige Abrüstungsabkommen der Administration Bush, legte eine Begrenzung der einsatzfähigen Gefechtsköpfe auf 2200 Stück fest, allerdings sind dabei keine Verifikationen vorgesehen, und das Abkommen soll lediglich bis zum 31. Dezember 2012 gelten.

Kampf gegen ABM-Vertrag

Bush konnte es dabei zu Beginn seiner Amtszeit gar nicht schnell genug gehen. Im Jänner 2001, noch zehn Tage bevor er überhaupt das Präsidentenamt übernahm, versammelte der neugewählte Präsident demokratische und republikanische Kongressabgeordnete, um sie schon auf Budgetwünsche für das technisch ehrgeizige Raketenabwehrsystem einzustimmen.
Der ABM-Vertrag behindere die USA, erklärte Bush damals. Condoleezza Rice, seine künftige Sicherheitsberaterin, hatte in einem Aufsatz für Foreign Affairs geschrieben: „Heute gehen die Hauptgefahren von den Iraks und Nordkoreas dieser Welt aus und der Möglichkeit, dass Nuklearwaffen in unbefugte Hände geraten könnten." Einen Irakkrieg später und nach sechs Jahren chaotischer Nordkorea-Diplomatie sieht das etwas differenzierter aus. (Markus Bernath/ (DER STANDARD Printausgabe, 2.1.2009)