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"Ich kann nicht mehr", sagte er und bat um eine Pause. "Du musst", erwiderte die Psychologin

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Wer tiefe Risse in der Seele hat, versucht verzweifelt, sie zu verschütten. Nur speziell geschultes Personal sollte eingesetzt werden, wenn es darum geht, das Trauma offen zu legen, fordern KritikerInnen

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"Es war, als stünde jemand mit einem Stock hinter mir, und drohe, mich zu erschlagen." Was Arman Z., 18-jähriger Flüchtling aus dem Iran, hier beschreibt, ist kein nächtlicher Alptraum: Z. erzählt von einer psychologischen Untersuchung in Wien.

Vor zwei Jahren hatte Z. in Österreich um Asyl angesucht, weil er im Iran von seinem Vater jahrelang schwer misshandelt, immer wieder im Keller eingesperrt und wegen seiner Weigerung, sein Leben fundamentalistisch ausgelegten islamischen Regeln zu unterwerfen, vom Vater sogar ins Gefängnis gebracht wurde.

Selbstmord droht

In Wien hatte er Glück, beim Verein Hemayat kostenlose psychotherapeutische und psychiatrische Behandlung zu bekommen. Hemayat hat lange Wartelisten, nur die ganz ernsten Fälle werden vorgereiht. Z. ist so ein Fall: Ohne Medikamente könne er "praktisch nicht schlafen", erzählt sein Psychiater, er habe chronische Kopfschmerzen und Wutausbrüche, sei selbstmordgefährdet und verletze sich selbst. Als "einen der massivst traumatisierten Klienten, die ich bisher gesehen habe", beschreibt ihn sein Therapeut, Willi Tauber. Die jahrelangen Misshandlungen haben tiefe psychische Narben hinterlassen.

Im Oktober 2007 hatte Z. einen Termin bei Dr. E. A., einer Wiener Psychologin, die immer wieder vom Bundesasylamt beauftragt wird, sogenannte Traumagutachten zu erstellen. Diese Gutachten dienen den JuristInnen des Asylamts als Entscheidungsgrundlage: Wer traumatisiert ist, hat zwar keine Garantie auf einen positiven Asylbescheid, gilt aber als besonders schutzbedürftig.

"Du musst"

Wenn Arman Z. von der Untersuchung spricht, spannen sich seine Gesichtsmuskeln an. "Elend" habe er sich dabei gefühlt, sagt er. Immer wieder habe ihn A. nach Details aus seiner Kindheit gefragt. Bis er es nicht mehr aushielt: "Ich kann nicht mehr", sagte er und bat um eine Pause. "Du musst", erwiderte die Psychologin. "Es war, als hätte jemand meinen Kopf zertrümmert", sagt Z. . "Lieber würde ich sterben, als dieser Person noch einmal zu begegnen."

"Eher kooperativ"

In A.s Gutachten findet sich nichts über Z.s Schwierigkeiten während der zweistündigen Untersuchung. Z. gehe an die pychologischen Tests "eher kooperativ, interessiert heran", schreibt A. im Protokoll. Themen, die an Z.s Flucht erinnern, würden im Gespräch "nicht vermieden". Auch von einer für Traumatisierte typischen Schreckhaftigkeit sei nichts zu merken, schließlich habe selbst das "sehr laute Klingeln" des Telefons in der Praxis ihn nicht zusammenzucken lassen. Die Schlussfolgerung: Z. sei gar nicht traumatisiert. Er leide lediglich an einer Dysthymie - erfülle also nicht einmal die Kriterien einer leichten depressiven Verstimmung.

Dass A. dem 18-Jährigen nur eine "Depression ultralight" diagnostiziere, sorgt bei Z.s Psychiater Sama Maani für Kopfschütteln: "Das ist eine krasse Fehleinschätzung." Die Psychologin habe "in abstruser Weise am Thema vorbei diagnostiziert." Dass es sich um einen Fall schwerer Traumatisierung handelt, "das hätte man in fünf Minuten erkennen können", meint auch Therapeut Willi Tauber.

"Betrüger identifizieren"

Warum also kam A. zu einem ganz anderen Ergebnis? Unter PsychotherapeutInnen, die von ihr begutachtete KlientInnen betreuen, hört man, Z.s Erlebnis sei kein Einzelfall. A. habe ihm schon öfter den Eindruck vermittelt, an die Untersuchungen so heran zu gehen, "als wolle sie Betrüger identifizieren", meint etwa Erwin Klasek, Psychotherapeut und Mitarbeiter der Diakonie. Klasek will A. zwar nicht ihre fachliche Kompetenz abstreiten, betont aber: "Eine Untersuchung in einer Atmosphäre des Misstrauens verfälscht unweigerlich das Ergebnis."

Keine Traumatests

Auch das Gutachten selbst wirft mehrere Fragen auf. Denn die Psychologin vermerkt im Untersuchungsprotokoll zwar, dass Z. unter Schlafstörungen leide. Doch obwohl diese typisch für Menschen mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTSD) sind, stellt A. in ihrer Schlussfolgerung "keinen Hinweis" auf eine Traumatisierung fest. Zudem führte A. bei der Untersuchung zwar gleich sechs verschiedene psychologische Tests durch. Darunter findet sich aber kein einziger der gängigen traumaspezifischen Testverfahren. Laut Klaus Ottomeyer, Traumatologe und Professor am Institut für Psychologie der Uni Klagenfurt, ein "schwerer Kunstfehler": "Wenn sich jemand schon entscheidet, aufwändige und für den Patienten belastende Tests durchzuführen, dann ist es sehr fragwürdig, ein Trauma nicht zu testen".

Für Verwunderung sorgt bei Psychiater Sama Maani auch die Auflistung der von A. durchgeführten Testverfahren: Um all diese Tests durchzuführen, benötige man mindestens fünf, im Normalfall und unter Berücksichtigung des Zeitaufwands fürs Dolmetschen sogar bis zu neun Stunden, so Maani. A. gibt jedoch an, mit zwei Stunden ausgekommen zu sein - zuzüglich der nötigen Zeit für das klinische Gespräch.

Kriterien erfüllt

Für derStandard.at war A. trotz mehrerer Telefonkontakte zu keiner Stellungnahme bereit und verwies auf ihre Anwältin. Im Innenministerium heißt es, A.s. Gutachten erfüllten alle geforderten Qualitätskriterien. Gutachten müssten logisch, in sich schlüssig, begründet und nachvollziehbar sein und den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechen. "Wenn wir uns an diese Standards halten würden, wären wir ja ganz gut unterwegs", sagt Barbara Preitler, auf Folterüberlebende spezialisierte Psychologin und Therapeutin.

Denn das Problem liegt in der Auslegung dieser Kriterien: Um Traumagutachten erstellen zu können, braucht man in Österreich keine Spezialkenntnisse in Psychotraumatologie. Auch Testverfahren, die speziell zur Erkundung einer PTSD entwickelt wurden, sind nicht vorgeschrieben. Wie die GutachterInnen zu ihren Befunden kommen, bleibt ihnen überlassen.

Erneut traumatisiert

Die Vorwürfe gegen A. verdeutlichen die Schwachpunkte des österreichischen Gutachtensystems im Asylverfahren. Die Diskussion ist nicht neu: Traumatisierte Flüchtlinge würden der Gefahr ausgesetzt, im Kontakt mit ungeeigneten GutachterInnen erneut traumatisiert zu werden, kritisieren die einen. Viele Befunde ließen zu wünschen übrig, Traumatisierte würden systematisch zu seelisch gesunden Menschen stilisiert. Asylsuchende würden alles daran setzen, als traumatisiert eingestuft zu werden, bemängeln die anderen: Es sei also nur allzu berechtigt, den Flüchtlingen nicht alles zu glauben, was sie in puncto Verfolgung und Folter erzählen.

"Gutachtenverwahrlosung"

"Natürlich versuchen manche, ein Trauma vorzutäuschen", sagt Klaus Ottomeyer, Professor am Institut für Psychologie an der Uni Klagenfurt, der dem Thema "Gutachtenverwahrlosung", wie er es nennt, ein eigenes Buch gewidmet hat. Gut geschulte Gutachter würden auf solche Täuschungsmanöver aber nicht hereinfallen: Denn wahrhaft Traumatisierte hätten "eine ganz eigene Qualität der Erzählung", deren Systematik relativ gut erforscht sei. Dieses Fachwissen könne sich kein Asylwerber anlesen und glaubhaft umsetzen: "Und wenn er das schafft, dann ist er so genial, dass man ihn sowieso hierbehalten sollte", scherzt Ottomeyer.

"Jeder, der meint, er kann das"

Mehr Fachwissen fordert Ottomeyer hingegen von den GutachterInnen: Während in Deutschland vor einigen Jahren strenge Standards für Gutachten und Qualifikationsvorgaben für GutachterInnen eingeführt wurde, dürfe in Österreich "jeder, der meint, er kann das", diesen Job verrichten. Die Folge: Gutachten "voller Widersprüche": Dass im Untersuchungsprotokoll mehrere Traumasymptome aufgezählt würden, der Gutachter am Ende aber dennoch kein Trauma feststelle, kommt laut Ottomeyer "sehr häufig" vor.

Der Uniprofessor will keine Willkür unterstellen, er ortet "entweder Schlampigkeit, oder eine grobe Unkenntnis der Traumasymptomatik". Letztere sei schließlich auch kulturabhängig: So würden sich beispielsweise bei westafrikanischen Flüchtlingen Traumata häufig in "erstaunlichen Körpersymptomen", wie etwa dem Gefühl, man könne "das eigene Herz von außen schlagen hören", äußern. "Wer das nicht weiß und nicht sensibel abfragt, wird zu keiner richtigen Diagnose kommen können, so Ottomeyer.

Politik in der Medizin

Letztlich geht auch vom Zweck des Gutachtens ein gewisser Druck aus: Sowohl GutachterIn als auch der/die Untersuchte wissen, dass das Ergebnis der psychologischen Untersuchung Einfluss auf eine Entscheidung hat, die keine medizinische, sondern eine politische ist. Ob jemandem eine Abschiebung zumutbar ist, könne nicht allein den PsychologInnen überlassen werden, fordert Ottomeyer: "Das ist Aufgabe der Juristen."

Im Innenministerium ist man sich des Problems durchaus bewusst. "Wir wissen, dass es gut wäre, Standards zu entwickeln, damit es qualitativ hochwertige Gutachten gibt", sagt Johanna Eteme von der Geschäftsstelle des Menschenrechtsbeirats im Innenministerium. Das Problembewusstsein hat ganz pragmatische Gründe: "Wenn die Gutachten nicht gut sind, halten die Entscheidungen nicht", so Eteme. Anders gesagt: Faule Gutachten ergeben lange Verfahrensdauern. Diese zu vermeiden, ist bekanntlich erklärtes Ziel der Innenministerin. Bleibt nur noch, das Wissen in Taten umzusetzen. Eteme: "Das Bewusstsein ist da. Man muss es nur aufgreifen." (Maria Sterkl, derStandard.at, 11.12.2008)