"Times" (London):
"Wenn sich das Virus des Fanatismus in der indischen muslimischen Minderheit eingenistet haben sollte, sieht die Zukunft des Landes, das auf Toleranz, Säkularismus und multi-ethnischem Gleichgewicht aufgebaut ist, düster aus. Mit über 150 Millionen Muslimen ist Indien die Heimat einer der größten islamischen Gemeinden. Bis vor kurzem schien diese Minderheit dem religiösen Fanatismus, der woanders Muslime in den politischen Extremismus getrieben hat, entkommen zu sein. Aber die Spannungen waren zuletzt gestiegen. Gewalt liegt dicht unter der Oberfläche, und sie brach aus, als fanatische Hindus die Moschee von Ayodhya zerstörten oder bei dem anti-muslimischen Pogrom in Gujarat im Jahr 2002. Und da nationalistische Gruppen der Hindus stärker werden, fühlen sich auch die Muslime zunehmend kampfbereit."
"Berliner Zeitung":
"Diesmal traf der Terror nicht nur das finanzielle Herz des Subkontinents. Er traf Ausländer, die von dem ökonomischen Boom profitieren wollten. Und Angehörige der indischen Elite fielen den koordinierten Attacken in der Stadt zu einer Zeit zum Opfer, in der sich das Land auf einen schmutzigen Wahlkampf vorbereitet. Die hindunationalistische Bharatiya Janata Party will Sicherheitsprobleme und Terrorismus zum zentralen Punkt ihrer Kritik an der Kongress-Regierung machen - frei nach dem Motto: Nicht alle Muslime sind Terroristen, aber alle Terroristen sind Muslime. (...) Die Attacke von Bombay wird das fragile Geflecht einer zum Zerreißen gespannten Gesellschaft weiter strapazieren. Diese hat sich längst in nationalistisch gesinnte hinduistische Mittel- und Unterklassen auf der einen und Minderheiten auf der anderen Seite gespalten. (...) Die Muslime (...) fühlen sich schon seit Jahrzehnten benachteiligt, die junge Generation ist wegen ihrer schlechten Chancen auf dem Arbeitsmarkt seit langem offen für radikalislamisches Gedankengut. Jahrelang saß Indien der eigenen Propaganda auf, dass der Terror von Pakistan gesteuert und ins Land getragen wurde. Es kam deshalb wie ein Schock, als während des vergangenen Jahres deutlich wurde, dass der Extremismus längst in den eigenen Megametropolen Fuß gefasst hatte."
"Frankfurter Rundschau":
"Der Angriff hat das Selbstbewusstsein des Staates und seiner Träger ins Mark getroffen. (...) Bombay war ein geeignetes Ziel in einem asymmetrischen Krieg, dessen eine Seite Staaten sind, und dessen andere Seite nicht staatlich organisiert ist. Staaten sind verwundbar, Terroristen tauchen ab. Das verweist jedoch nicht zwingend auf eine terroristische Zentrale. Selbst dann nicht, wenn man glaubt, die 'Handschrift' von Al-Kaida wiedererkennen zu können. Die Täter haben sich ihrer Rezepte bedient. Es dürfte aber sicher sein, dass sie aus dem Untergrund und auf dem Hintergrund der indischen Gesellschaft rekrutiert worden sind. Der kommunale Konflikt zwischen Hinduisten und Islamisten, der schon zur gewaltsamen Zwillingsgeburt von Indien und Pakistan geführt hat, ist in den vergangenen Jahrzehnten schärfer und erbitterter geworden. (...) Es kann kein Zufall sein, dass in Bombay gezielt nach US-Bürgern gesucht wird; und kein Zufall, dass dieser Terrorangriff just in die Zeit des Washingtoner Interregnums zwischen zwei sehr unterschiedlichen Präsidenten fällt. Die USA waren sehr wohl auch gemeint. Es kommt nun sehr darauf an, ob sie in der gegenwärtigen Übergangszeit wieder auf das Bush-Mittel 'Krieg gegen Terror' zurückgreifen."
"Süddeutsche Zeitung" (München):
"Gewalt gehört zu Indien wie ein gut gewürztes Currygericht. Gewalt und Terror hat es immer gegeben in einem Land, das schon bei seiner Geburt vor 61 Jahren in Mord und Totschlag unterzugehen drohte. Politiker wurden umgebracht, es gab Pogrome, Hindus zündeten Häuser von Muslimen an, Muslime zündeten Häuser von Hindus an, und noch nicht einmal das Parlament war vor Terror sicher. Und stets, wenn Muslime hinter Gewalttaten vermutet wurden, wiesen die anklagenden Zeigefinger der Politiker reflexartig in dieselbe Richtung - nach Norden, auf den verhassten muslimischen Feind und Bruder Pakistan. Es ist dies der bequemste Erklärungsversuch, der aber an den Realitäten vorbeizugehen scheint. Einiges deutet nämlich darauf hin, dass sich der Feind mittlerweile im eigenen Land formiert und organisiert hat. In Indien, einem Land mit mehr als einer Milliarde Menschen, lebt eine Minderheit von etwa 130 Millionen Muslimen, und die fristen seit jeher ein kümmerliches Dasein. Sie gelten als Abkömmlinge fremder Invasoren, werden diskriminiert und sind das Hassobjekt der Hindu-Nationalisten. Dass diese Erfahrung von Benachteiligung und Unterdrückung und der Hass, der sich daraus gebildet hat, eines Tages umschlagen könnte in radikale Gegenwehr, musste man realistischerweise stets für eine Möglichkeit halten. Es geht um die Macht, nicht um die Vernunft, und es ist nicht auszuschließen, dass die Hindu-Nationalisten von der BJP, der Bharatiya Janata Party, versucht sein könnten, hoch auf der Terrorwelle zum Wahlsieg zu reiten. (...) Indiens radikalen Islamisten freilich könnte nichts Besseres passieren als die Rückkehr dieser Scharfmacher. Denn dann hätte das Feindbild noch klarere Konturen als jetzt schon. Für das Land und seine Zukunft als heraufziehende asiatische Großmacht allerdings wäre es ein Unglück."
"Neue Zürcher Zeitung":
"In der Wechselwirkung der Extreme liegt (...) die größte Gefahr für
Indien. Solange sich die Radikalen einer ethnischen oder religiösen
Gruppe, noch dazu in einer Randregion, gegen den Staat wenden, kann
dieser damit leben. (...) Sobald aber die Konflikte
bürgerkriegsähnliche Züge in den Kerngebieten und Wirtschaftszentren
des Landes annehmen, wird das Fundament der aller Gewalt zum Trotz auf
Toleranz gebauten Gesellschaft erschüttert. Die Extremisten machen
deshalb Mumbai (Bombay) zu ihrem bevorzugten Schlachtfeld. Die Stadt
repräsentiert all das, was sie hassen: Sie ist multikulturell, sie ist
das Tor zum Ausland, und sie verkörpert die Öffnung des Landes zur
westlich geprägten Globalisierung."
"Libération" (Paris):
"In dem Konflikt zwischen Indien und Pakistan, zwei Atommächten, ist es
üblich, den historischen Feind zu beschuldigen. Die Inder sollen erst
mal beweisen, dass die Terroristen von Bombay tatsächlich aus dem
Nachbarland stammen. Doch selbst wenn die Attentäter ausländischer
Herkunft sind, dürfen wird den Nährboden nicht vergessen, auf dem
dieser Extremismus gedeiht. Indien hat seine laizistischen und
toleranten Ideale aus der Zeit der Unabhängigkeit verleugnet. Das Land
behandelt seine beeindruckende muslimische Gemeinde wie Bürger der
zweiten Klasse - und dies im Namen eines chauvinistischen Hinduismus.
Dabei wird die indische Geschichte von einer Kultur geprägt, in der
sich die beiden Religionen vermengen. (...) Die indischen Behörden
haben die anti-muslimischen und anti-christlichen Pogrome zu lange
währen lassen und diese Gemeinden nicht an der Demokratie und den
Erfolgen Indiens teilnehmen lassen. Der Terrorismus nährt sich auch von
diesen Frustrationen."
"Nord Eclair" (Roubaix/Nordfrankreich):
"Dass die Regierung in Dehli eine ausländische Organisation bezichtigt,
wird niemanden überraschen. Eine Operation von diesem Ausmaß setzt in
der Tat Logistik und Erfahrung voraus. Wie soll man also nicht an El
Kaida denken, oder gar an eine Komplizenschaft Pakistans? Wie auch
immer, (...) die Täter und Anstifter dieser Verbrechen könnten einen
kontra-produktiven Effekt erzielen. Denn Indien ist alles andere als
destabilisiert. Dieses Land, von der Bevölkerungszahl her die größte
Demokratie der Welt, (...) lässt sich nicht von einer wie immer
gearteteten Gewalt auseinanderreißen."
"Ouest-France" (Rennes in der Bretagne):
"Der Terror von Bombay könnte gut gleichzeitig mehreren Interessen
dienen. Dafür spricht die internationale Situation. So könnte die
jüngste Annäherung zwischen Indien und den USA den Aktivisten von El
Kaida ein zusätzliches Motiv bieten (...). Und die Destabilisierung
Pakistans, die beim afghanischen Konflikt eine so entscheidende Rolle
spielt, bietet transnationalen Terrororganisationen Tausende von
Triebfedern. Wer Indien angreift, zielt nicht nur auf einen
wesentlichen Partner beim Kampf gegen den Terrorismus ab, sondern auch
auf die größte Demokratie der Welt. Bombay stellt eine Wende dar."
"Il Messaggero" (Rom):
"Was in Bombay geschehen ist, das könnte die Ankündigung einer neuen
Offensive und einer neuen Strategie all derer sein, die ein Interesse
an einem Scheitern der amerikanischen Politik haben. Und das sind nicht
nur die Terroristen von El Kaida. Als Mitglieder der NATO, die nach den
Programmen des künftigen US-Präsidenten Barack Obama eine dynamischere
Rolle in Afghanistan spielen soll, werden die Länder der EU schon bald
aufgerufen sein, ihren Beitrag zu leisten, um die in dem Teil der Welt
entstandene komplexe Lage zu entwirren. Wünschenswert wäre es dabei,
wenn neben Geld und Ausrüstung auch neue Ideen und neue Strategien von
Europa mitgeliefert würden. Vor allem aber, dass sich Europa dem mit
einer einheitlichen Position stellt."
"Corriere della Sera" (Mailand):
"Eine regelrechte Kriegsaktion in Bombay, eine Autobombe in der Nähe
der US-Botschaft in Kabul, glaubwürdige Attentatsdrohungen gegen die
New Yorker U-Bahn. Es ist ein brüskes Erwachen, und der in keiner Weise
geschwächte Terrorismus hängt mit bleierner Schwere über dem
Schreibtisch im Oval Office des amerikanischen Präsidenten, noch ehe
Barack Obama dort überhaupt Platz genommen hat. Sicher, das sind
unterschiedliche Ereignisse. Aber all dies hat einen gemeinsamen Faden,
und der heißt Barack Obama. Der Wahlkampf in den USA war noch im Gang,
da begannen bereits interessante Theorien zu kursieren. Im Falle eines
Wahlsiegs von Barack Obama, so hieß es etwa, werde die terroristische
Bedrohung ihre ganze Kraft wiederfinden können. Weil Obama sich als
schwach erweisen und weniger wachsam sein könnte." (APA)