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Anschläge in Mumbai: Nicht die Journalisten brachten die aktuellsten Meldungen, sondern Bürger über diverse Blogs und soziale Netzwerke.

foto: reuters/stringer

"Ich sitze hier in meinem Hotel-Zimmer, habe die Tür mit den Möbeln verriegelt und höre draußen Schüsse und Explosionen", so schilderte ein Brite gestern live auf bbc.co.uk die Ereignisse rund um die Terroranschläge in Mumbai. Er war nicht der einzige Bürger, der seine Erlebnisse spontan weiter gab. Es waren aber nicht die traditionellen Medien, die die "Breaking News" brachten, sondern die aktuellsten Meldungen kamen in Echtzeit über Blogs und Microblogs von Augenzeugen oder Involvierten.

Vinukumar Ranganathan nahm einfach seine Digitalkamera in die Hand, begab sich vor Ort und stellte 112 eindrucksvolle Bilder von zerstörten Autos, flüchtenden Menschen und blutbefleckten Straßen auf den öffentlich zugänglichen Bilder-Server Flickr. Er war damit schneller als alle großen Nachrichtenagenturen. Eine Gruppe von Bloggern aus Mumbai funktionierten ihren Blog ebenfalls in eine Nachrichtensender um, indem sie laufend über die neuesten Entwicklungen berichteten.

"Zwitschern" über Terror

Eindeutig am stärksten genutzt wurde der populäre Micro-Blog-Service Twitter.com. Hier wurden bereits wenige Minuten nach den ersten Explosionen Einträge gemacht. Danach folgten die Einträge im Sekundentakt, oft über 60 pro Minute. Die Microblogger dürfen nicht mehr als 140 Zeichen verwenden. Der Service, der im Normalfall laut Startseite "für Freunde, Familie und Mitarbeiter" gedacht ist, mutierte zu einem Nachrichtenticker, mit dessen Schnelligkeit kein Medium mithalten konnte.

"Die Terroristen fragen an der Rezeption nach den Zimmern von Amerikanern und halten welche als Geisel" trug zum Beispiel der User "Dupreee" ein.

Gewalt und Ausdrücke

Unterbrochen wurden diese Augenzeugenberichte immer wieder durch Links zu Berichten auf Nachrichtenseiten, Zitaten aus TV-Übertragungen, Notfallnummern, Aufrufe zum Blutspenden oder Nachfragen, ob jemand über den Zustand ihrer Angehörigen bescheid wisse. Nachdem auf Twitter.com alles direkt online geht, sind auch Gewaltausdrucke immer wieder zu finden: "Ich würde sagen, falls ihr scheiß Terroristen das lesen solltet, dann krepiert ihr Arschlöcher. Krepiert! Krepiert einen qualvollen Tod", meint dieser User:

Laut mehreren Einträgen auf Twitter.com überlegte die indische Regierung, das Service zu stoppen, um den Terroristen, nicht die Möglichkeit zu bieten, über die genaue Information zu erfahren, wie sie entkommen könnten.

Wie die traditionellen Medien von Twitter "abgehängt" wurden, zeigen die diversen Interviewanfragen von BBC, die über Twitter an Augenzeugen gerichtet wurden.

Cherian George, Experte für Neue Medien, gegenüber Reuters: "Die Anschläge von Mumbai haben das Potenzial von Bürgerjournalismus und user-generated Content eindrucksvoll gezeigt." Für große Medienunternehmen sei es bei derartigen Vorfällen schlicht unmöglich, jede Neuentwicklung live zu bringen. Er fügt hinzu: "Diese Vorfälle zeigen auch, wie nutzvoll derartiger User-Content für die traditionellen Medien sein kann."

Alexander Becker vom deutschen Portal "meedia" meint dazu weniger euphorisch: "Andererseits zeigt ein Blick auf Twitter, dass es bei der aktuellen Geschwindigkeit, in der Kurz-Postings zum Thema veröffentlicht werden, schlicht unmöglich ist, die Echtheit und Relevanz einer Information zu prüfen. Die Nachrichten sind roh." (rasch, derStandard.at/27.11.2008)