"Easy Come Easy Go": Marianne Faithfull, die Frau mit der nicht domestizierbaren Stimme, schwelgt auf ihrem Album in
"18 Songs For Music Lovers".

Foto: Lotus Records

Nach langer, schwerer Krankheit arbeitet Marianne Faithfull das erste Mal seit ihrem zentralen Album Strange Weather aus dem Jahr 1987 wieder mit dem US-Produzenten Hal Willner (Jahrgang 1957) zusammen. Willner, einer der wenigen Großproduzenten alter Schule, entwickelte und nahm neben seiner Haupttätigkeit als musikalischer Direktor von Saturday Night Live in der Vergangenheit mit internationalen Starriegen vor allem Tributalben auf. Amarcord Nino Rota, That's The Way I Feel Now: A Tribute To Thelonious Monk, Lost In The Stars: The Music of Kurt Weill, Stay Awake: Interpretations of Vintage Disney Films, Leonard Cohen: I'm Your Man ...

Im Grenzbereich von edlem Erwachsenenpop und Jazz führte Willner in diesen Arbeiten so unterschiedliche Welten wie jene von Sting, Keith Richards, Nick Cave, Carla Bley, Bono, Bill Frisell, Elvis Costello oder Jarvis Cocker zusammen. Und er muss sich in diesem Zusammenhang höchstens einen Vorwurf gefallen lassen. Oft wirken die Arrangements von Hal Willner ein wenig geschmäcklerisch, weil im Zweifel der Wohlklang über die Verstörung gestellt wird.

Kaum bezähmbare Stimme

Auch die neuen Stücke der 61-jährigen Marianne Faithfull und ihre in jeder Hinsicht opulente Arbeit namens Easy Come Easy Go - 18 Songs For Music Lovers geraten oft sehr, sehr gediegen. Kurz, sie klingen etwas abgestanden. Allerdings ist die krächzende, gebrochene und dank einer Vergangenheit mit den Rolling Stones während der 60er-Jahre kaum domestizierbare Stimme Faithfulls ein Garant dafür, dass diese ausgesuchten Coverversionen nicht restlos im akademischen Designer-Schmalztopf versinken.

Gleich im ersten Song, Down From Dover aus der Feder von Dolly Parton, packt Avantgarde-Gitarrist Marc Ribot seine Soul-Vergangenheit als Begleiter von Solomon Burke aus und lässt zu einer gemütlich groovenden Bläsersektion Country und Soul alte, in der Musikgeschichte gern unter den Teppich gekehrte Allianzen wiederaufleben.

Faithfulls junge Kollegin Cat Power gastiert auf dem Album ebenso wie Nick Cave, Rufus Wainwright, Antony, Sean Lennon, Jarvis Cocker oder eben auch ihr alter Buddy Keith Richards. Sing Me Back Home, ein alter Country-Klassiker von Merle Haggard, lässt mit intimer Instrumentenanordnung und Richards' konsequent neben der Spur liegender Gitarre die Gänsehaut aufziehen.

Wer zwischendurch beim Musikhören gern Halt in der Vergangenheit sucht, wird von Faithfull und Willner überhaupt bestens bedient. Neben Dolly Parton oder Duke Ellingtons Solitude finden sich auf der um eine Studio-Dokumentations-DVD ergänzten Doppel-CD auch Lieder von Randy Newman (In Germany Before The War), Smokey Robinson, der damals wie heute sträflich unterschätzten, tragisch ums Leben gekommenen Judee Sill (The Phoenix) oder von Leonard Bernstein & Stephen Sondheim: Somewhere (A Place For Us).

Die sogenannte Moderne wird durch Morrissey vertreten (Dear God Please Help Me), von Brian Eno (How Many Worlds) oder durch Children Of Stone von den US-amerikanischen "Weird Folk"-Aushängeschildern Espers.

Marianne Faithfull schafft so ein mehr als würdiges Alterswerk, das sich auch hübsch in den Werkkatalog von Hal Willner einfügen wird. Vielleicht sollte dieser auch einmal seinen künstlerisch etwas stagnierenden Stammgast Nick Cave für ein ähnliches Unterfangen zu gewinnen versuchen. Eine andere sichere Bank wäre womöglich Antony. Tragödenpop der Sonderklasse. (Christian Schachinger / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28.11.2008)