Alfred Gusenbauer ist gescheitert. Aber auf hohem Niveau. Nur zur Erinnerung: Mit ihm als Spitzenkandidat kam die SPÖ im Jahr 2006 immerhin noch auf 35,3 Prozent - und den ersten Platz. (Die ÖVP war mit minus acht Prozentpunkten auf den zweiten Platz abgestürzt.) Zwei Jahre später segelte die SPÖ mit einem neuen Chef und Spitzenkandidaten auf unter 30 Prozent. Minus sechs Prozent. Historischer Tiefststand. Und alle (in der Partei) feiern Werner Faymann als Retter.

Der wird am Dienstag als neuer Bundeskanzler angelobt, Gusenbauer räumt derweil das Büro im Kanzleramt auf. Er nimmt Abschied.
Gusenbauer ist gescheit, er ist ideologisch versiert, er hat einen Auftrag und eine Vision, ohne dabei ein Fanatiker oder Fantast zu sein, er ist rhetorisch sehr gut, er ist umgänglich, kennt sich mit Strategien aus, er hat ausreichend Erfahrung. Dennoch hat er als Bundeskanzler einen Bauchfleck hingelegt. Sein Lebenstraum hat lediglich 23 Monate gedauert. Immerhin.
Was hat Alfred Gusenbauer falsch gemacht? Zwei Hindernisse standen ihm im Weg: die ÖVP und er selbst.

Die ÖVP war arrogant und herablassend. Gegenüber Gusenbauer, der Kanzler wurde, und dem Land gegenüber. Wolfgang Schüssel hat das Wahlergebnis nicht akzeptiert, Wilhelm Molterer hat zu viel von dieser Verbissenheit mitgenommen, auch er sah das Wahlergebnis nur als Fehler an, der korrigiert werden müsse.

Statt einer Koalition gab es Opposition auf höchster Ebene, statt einer gemeinsamen Regierung gab es permanenten Wahlkampf. Die ÖVP fuhr Kampflinie gegen den Kanzler. Es durfte keinen Erfolg geben, der auch auf ihn abstrahlen hätte können, und damit gab es gar keinen Erfolg. Das hat den Schwarzen zwar auch geschadet, aber Gusenbauer haben sie damit umgebracht.Inhaltlich war Dürre: Die wesentlichen Reformvorhaben blieben stecken, etwa im Gesundheits- und Verwaltungsbereich. Die Ortstafel-Frage blieb ungelöst, nach wie vor gibt es keine Homo-Ehe, die Themen humanitäres Bleiberecht und Integration sind so heikel, dass sie unangetastet blieben (und jetzt der ÖVP überlassen werden).
Nichts ging, dafür musste Gusenbauer geradestehen, auch bei den eigenen Leuten, die ihren Chef auch noch für die Unzugänglichkeit und Bösartigkeit der ÖVP verantwortlich machten. Warum hat er denn nicht auf den Tisch gehaut? Warum hat er sich überhaupt über diesen ziehen lassen?

Jetzt kann man sich fragen, warum das mit Josef Pröll anders werden soll. Auch Pröll will nicht Vize bleiben, er ist ehrgeizig und hat ein Ziel: das Kanzleramt. Das heißt Faymann stürzen. Der wird wachsam sein. Müssen. Gusenbauers anderes Problem war er selbst: seine Freude, sein Genuss, seine Lust. Er hat das ausgekostet, das Kanzlersein, er hat es aufgesogen und ausgelebt. Dazu noch ein Glaserl Wein, nicht irgendeinen, nur den Besten: Prost! Er war der Letzte, der mitgekriegt hat, was sich hier für eine Symbolik aufbaut, dass das nicht gut ankommt, auch nicht bei den eigenen Leuten. Man vermisste die Demut und sah den Fleiß nicht. Es wurde gesudert.

Alle schielten auf die Umfragewerte und bangten vor der Abrechnung. Bis Gusenbauer gezwungen war, die Notbremse zu ziehen, ehe ihn die SPÖ davongejagt hätte. Im Abgang und in der Übergabe zeigte er jene Größe, die ihm eine gute Nachrede in den Geschichtsbüchern der Partei sichern wird - und vielleicht auch einen Job in der EU.
Was Gusenbauer für sich in Anspruch nimmt, ist fast von symbolischer Natur: eine Trendwende in der Bildungs- und Sozialpolitik, die erst in Jahren ihre Früchte tragen wird. Was ihm niemand nehmen kann, ist die Wende von der Wende. Und die 35,3 Prozent muss Faymann erst einmal zusammenbringen. (Michael Völker/DER STANDARD-Printausgabe, 27. November 2008)