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"Aus dem Hörsaal auf die Straße" gilt für diese Studierenden in Rom. Doch Berlusconis Sparpläne sind nicht das einzige Problem der Unis. Private Seilschaften verhindern eine ordentliche Postenvergabe.

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Der Regierungsplan, die Geldmittel drastisch zu kürzen, treibt jetzt Studierende auf die Straße.

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Rom - Wenn Giovanni Girone zur Arbeit geht, muss er sich von seiner Familie nicht erst verabschieden. Ob zu Hause oder an seinem Institut - der ehemalige Rektor der Universität Bari findet sich stets im Kreise seiner Familie wieder. Seine Frau Giulia, drei Söhne und ein Schwiegersohn lehren an derselben Fakultät.

An seinen Kollegen Lanfranco Massari kommt der Professor für Statistik freilich nicht ganz heran. Gleich fünf Söhne und Neffen haben der Ökonom und seine zwei Brüder in die Hochschule eingeschleust. Ein Viertel der 179 Dozenten an der Wirtschaftsfakultät begegnet dort täglich Angehörigen. Auch in Messina stehen familiäre Bande hoch im Kurs. Gegen den Rektor und zahlreiche Professoren läuft ein Verfahren wegen Betrugs und Amtsmissbrauchs. An den Fakultäten für Rechtswissenschaften und Tiermedizin hat ein Drittel aller Professoren Angehörige in Lehrstellen gehievt.

Der ausufernde Nepotismus bleibt nicht nur auf den Süden der Halbinsel beschränkt. Er verkörpert nur eines der Übel, an denen Italiens Universitäten seit Jahren kranken. An vielen herrschen altgediente Professoren, denen die Pflege eigener Pfründe über alles geht. Wissenschaftliche Kompetenz gilt bei Stellenbesetzungen meist als Nebensache, die Gewinner stehen bereits vorher fest.

Als "fossiles, byzantinisches Relikt" wertet der bekannte Mathematiker Piergiorgio Odifreddi Italiens Unis, für deren Modernisierung ihm eine "leider utopische" Radikalkur vorschwebt: "die sofortige Amtsenthebung der gesamten Hierarchie" . Derartige Hoffnungen haben viele längst aufgegeben.
Fuga dei cervelli - Flucht der Hirne - heißt das Schlagwort für den Exodus tausender ambitionierter Akademiker, für die das Ausland die einzige Chance auf eine wissenschaftliche Laufbahn ist.

An den aufgeblähten Unis wird Forschung und Leistung kleingeschrieben. 42 Prozent aller Professoren sind über 50, weitere 23 Prozent über 60 Jahre alt. Viele sprechen keine einzige Fremdsprache. Kleine Unis sind oft Drehscheiben lokalpolitischer Klientelwirtschaft. In zehn Jahren ist die Zahl der Hochschulen von 41 auf 95 gestiegen, jene der oft bizarren Studienlehrgänge auf 5517. So kann man im Fachbereich "Wohlergehen von Hund und Katze" ebenso ein Doktorat erwerben wie in "Linguistischer Mediation für Übersetzer von Fernsehdialogen."

Eine Rekordquote von 55 Prozent aller Studenten kehrt dem archaischen Lehrbetrieb schon vor dem Abschluss den Rücken. Unter den 25- bis 34-Jährigen liegt die Akademikerquote bei 17Prozent. Ausländische Studenten und Professoren halten italienische Unis mit wenigen Ausnahmen schlicht für unattraktiv, eine Misere, die nicht folgenlos bleibt: In internationalen Rankings sucht man auf den ersten 150 Plätzen vergeblich nach einer italienischen Uni. In der europäischen Rangliste liegt Bologna als beste Uni auf Rang 78. Jetzt hat ein Reformplan das erstarrte System urplötzlich aus seiner Friedhofsruhe geschreckt.

Ruin durch Budgetkürzung

Die Regierung Berlusconi, die dem Wildwuchs jahrelang tatenlos zugesehen hat, droht den Hochschulen mit massiven Kürzungen von 1,5 Milliarden Euro. Das könnte Unis mit belasteten Budgets wie Florenz, Siena, Pisa, Urbino und Triest in den Bankrott treiben. "Die Regierung will die drastische Kürzung von Geldern und Lehrstellen als Reform verkaufen" , erregt sich der Rektor des Turiner Polytechnikums, Francesco Profumo. Geldmittel müssten in Zukunft nach Qualitätskriterien zugeteilt werden, fordern er und Rektoren, deren Unis im italienischen Spitzenfeld rangieren.

Seit Wochen sieht sich die in Bildungsfragen unbedarfte Ministerin Mariastella Gelmini mit Protesten konfrontiert. Studenten besetzen die Unis, Professoren halten ihre Physik-Vorlesungen vor dem Parlament, Rektoren drohen geschlossen mit Rücktritt. Vom Ausmaß der Proteste verschreckt, zeigte sich Gelmini "diskussionsbereit" . Zunächst will sie das Verwandtenkarussell stoppen. Spät genug: 24 Rektoren haben Familienangehörige in der eigenen Uni. (Gerhard Murmelter aus Rom/DER STANDARD Printausgabe, 27. November 2008)