Vier Jahre lang haben Wissenschafter an dem voll funktionsfähigen Cockpit getüftelt. Mit an Bord sind unterschiedliche Warn- und Sicherheitssysteme, die in dem hochkomplexen System getestet werden.

Foto: TU Graz

Dichter Nebel liegt über der Landschaft, es dämmert, und die DC 10 nähert sich in sonderbarer Schräglage und rasendem Sinkflug dem Wienerwald. Im Cockpit meldet das Ground-Proximity-Warnsystem immer bedrohlichere Daten, ein unsanfter Bodenkontakt ist in den nächsten Sekunden zu erwarten.

Den Piloten lässt das allerdings relativ kalt - sitzt er doch behaglich und sicher, wenn auch etwas irritiert, im neuen Flugsimulator der TU Graz. Vier Jahre intensiver Vorbereitungsarbeit hat es bedurft, um dieses voll funktionsfähige Cockpit mit seinem reichen Innenleben aus hochkomplexer Software und der gewölbten Leinwand davor zur realitätsnahen Kulisse für alle nur denkbaren Flugsituationen zu machen. Damit auch die Arbeitsbedingungen für die Cockpitbesatzung der Pilotenrealität über den Wolken möglichst nahe kommen, verfügt der Simulator zudem über ein modernes Flight-Management-System in Verbindung mit Flight-Director und Autopilot.

Im Gegensatz zu üblichen Flugsimulatoren wird dieses Modell jedoch nicht zum Bodentraining von Piloten eingesetzt, sondern als äußerst gut ausgestatteter "Sandkasten" für Wissenschafter: "Dieses Gerät ist kein käuflicher Simulator von der Stange" , erklärt Siegfried Vössner, Vorstand des Instituts für Maschinenbau- und Betriebsinformatik an der TU Graz. "Es handelt sich vielmehr um ein neuartiges System, das eigens für Forschungszwecke entwickelt wurde." Das Besondere daran: Es ist völlig frei konfigurierbar, wodurch die unterschiedlichsten Flugzeugtypen und -systeme mit großer Detailtreue nachgebildet und beliebige neue Komponenten in realitätsnaher Umgebung getestet werden können.

Anders als die sehr teuren Full-Flight-Simulatoren, die 1:1 einem bestimmten Flugzeugtyp nachgebaut sind, besteht der Grazer Flugsimulator weitgehend aus Software. Und weil sich darin das umfangreiche Know-how sehr vieler Experten aus unterschiedlichsten Fachbereichen befindet, lässt sich damit so ziemlich alles ausprobieren, was sich Wissenschafter für die Flugzeuge der Zukunft so ausdenken.

Wandlungsfähiges System

"Unser Simulator ist quasi ein lebendiges System, das sich permanent verändern und erweitern lässt, mit dem man neue Ideen und Konzepte sowohl testen als auch hervorbringen kann" , freut sich Vössner über das in Österreich bisher einzigartige Gerät. Seine Existenz verdankt es übrigens der Grazer "Forschungsplattform Flugsimulation" , an der mehrere Universitäts-Institute, die Austrian Airlines und zahlreiche Firmen - darunter Global Player wie der Triebwerkshersteller Rolls-Royce, der Chiphersteller AMD oder Microsoft - beteiligt sind.

Die nötigen Simulationsalgorithmen, die dem Forschungs-Flugsimulator erst seine außergewöhnliche "Intelligenz" und Wandlungsfähigkeit einhauchen, werden von Reinhard Braunstingl vom Institut für Mechanik sowie von Maschinenbau- und Betriebsinformatikern der TU Graz entwickelt. Gemeinsam mit Rolls-Royce haben die Wissenschafter in diesem Rahmen bereits ein Triebwerk modelliert, mittlerweile wird schon am entsprechenden Diagnosesystem gearbeitet.

Mit an Bord sind auch Psychologen der Grazer Universität, die Piloten in unterschiedlichen Stresssituationen testen. Dabei geht es unter anderem um die Optimierung von Warnsystemen, denn die richtige Form einer Warnung kann - wie Tonaufnahmen aus dem Cockpit unmittelbar vor Flugzeugabstürzen dokumentieren - über Leben und Tod entscheiden.

Neuartige Sound-Simulation

Interessante Inputs liefern auch die Experimente des Instituts für Elektronische Musik der Kunst-universität Graz, das ein neuartiges Sound-Simulationsmodell für den Flugsimulator entwickelt hat. Zu diesem Zweck wurden die verschiedenen Einzelgeräusche bei einem Flug mit zwölf Mikrofonen aufgenommen, mit einem kom-plexen Analyseverfahren identifiziert und schließlich so aufbereitet, dass sie über die Software modulierbar sind. Seine beachtliche Realitätsnähe hat dieser Fluggeräuschsimulation übrigens bereits die Anwendung in einer kommerziellen Full-Flight-Simulation beschert.

Parallel dazu werden am Grazer Flugsimulator unter anderem auch Untersuchungen zu Flugsicherungs- und Kollisionsvermeidungs-Systemen, zu diversen Hochleistungs-Computer-Grafik-anwendungen oder Mensch-Maschine-Schnittstellen durchgeführt.

Ein jeweils maßgeschneidertes Experimentierfeld also für die angewandte Forschung ebenso wie für die Grundlagenforschung und damit ein fruchtbarer Boden für neue Ideen und interdisziplinäre Kooperationen - nicht zuletzt im Dienst der Flugsicherheit. (Doris Griesser/DER STANDARD, Printausgabe, 26.11.2008)