Paris - "Links" und "Ich will" waren die häufigsten Worte im Programm von Martine Aubry für den Chefposten der französischen Sozialisten. Mit ihrem Versprechen, die Partei PS fest im linken Spektrum zu verankern, hob sich die Bürgermeisterin von Lille politisch von ihrer Kontrahentin Ségolène Royal ab, die einen Aufbruch in die Mitte predigte. Ob es Aubry gelingt, die zerstrittene Partei tatsächlich auf ihre Linie einzuschwören und die Grabenkämpfe zu beenden, muss sie nun beweisen: Mit einem Vorsprung von nur 42 Stimmen wurde sie am Freitagabend zur ersten PS-Chefin gewählt und tritt nun die Nachfolge des glücklosen Francois Hollande an.

Machtkampf

Der Urabstimmung war ein erbitterte Machtkampf Aubrys und Royals vorausgegangen. Nicht nur politisch, auch persönlich könnten die Gegensätze der als leidenschaftliche Feindinnen bezeichneten Damen kaum größer sein. Die elegante Madame Royal gibt sich gerne volksnah, kann ihre Anhänger mit perfekt inszenierten Auftritten für sich gewinnen. Aubry, mit 58 Jahren drei Jahre älter als Royal, ist dagegen eine bodenständige und arbeitswütige Machtpolitikerin ohne allzu fesselndes Charisma.

In der desolaten Lage, in die die Sozialisten durch persönliche Streitigkeiten ihres Führungspersonals und ideologische Orientierungslosigkeit geraten sind, könnten sich Aubrys vermeintliche Schwächen noch als Vorteil erweisen: Sie bietet wenig Angriffsfläche und verspricht der verunsicherten Partei durch eine Rückbesinnung auf ihre traditionellen Werte eine klare Orientierung. Dadurch sicherte sie sich den Rückhalt fast der gesamten Führungsriege, die für die Urabstimmung zu ihrer Wahl aufgerufen hatten. Dass sie dennoch nur mit 50,02 Prozent gegen Royal gewinnen konnte, zeigt, dass ihre Beliebtheit bei der Parteibasis begrenzt ist.

Einführung der 35-Stunden-Woche

Auf sich aufmerksam machte die Tochter von Ex-EU-Kommissionspräsident Jacques Delors zuletzt im Frühjahr, als sie das Rathaus von Lille gegen die konservative Konkurrenz verteidigte. Als wichtige Symbolfigur der Sozialisten gilt sie schon seit Ende der 90er Jahre, als sie die Einführung der 35-Stunden-Woche in der Regierung von Lionel Jospin durchbrachte. Die Nähe zum Gewerkschaftsflügel hat sie nie aufgegeben.

Mit 41 Jahren wurde Aubry zum ersten Mal Arbeitsministerin und gilt wie ihr Vater als jemand, der sich in seine Dossiers vertieft und Kärrnerarbeit leisten kann. Als es am vergangenen Wochenende darum ging, den Pariser Bürgermeister Bertrand Delanoe im Ringen um die Parteiführung auszustechen, bewies sie darüber hinaus Raffinesse, indem sie Delanoe ein Bündnis vorgaukelte.

Präsidentschaftswahl 2012

An Machtbewusstsein mangelt es der Absolventin der Kaderschmiede ENA nicht, und so gilt als sicher, dass sie als PS-Chefin nun auch nach der Kandidatur der Sozialisten für die kommende Präsidentschaftswahl 2012 greifen wird. Ausgerechnet die Festlegung auf die linke Tradition der PS, die ihr zur Eroberung des höchsten Parteiamtes verhalf, könnte im Kampf ums höchste Staatsamt zum Problem werden: Das Wählerpotenzial links der Mitte reicht in Frankreich zur Zeit nicht aus, um gegen die Konservativen zu gewinnen. Ein Bündnis mit der Zentrumspartei MoDem von François Bayrou schloss Aubry bisher aus, um sich von ihrer Gegnerin Royal abzugrenzen. (Von Tobias Schmidt / AP)