San Francisco - 1500 Menschen sahen zu, als Abraham B. sich tötete. Live, via Internet. Der 19-Jährige aus dem US-Bundesstaat Florida starb am vergangenen Mittwoch an einer Überdosis Schlaftabletten - und übertrug seinen Tod mit einer Webcam in Echtzeit, berichtet die Londoner Times.

Der Teenager hatte seinen Suizid online angekündigt, ernstgenommen hat ihn niemand. Vor seinem Tod besuchte er das Forum von bodybuilding.com, wo er unter dem Namen "Candy Junkie" registriert war. Detailliert beschrieb er, welche Tablettenmenge er einnehmen werde. Die Forenmoderato- ren ignorierten ihn, berichtet die Times. Denn er hatte schon in der Vergangenheit mit seinem Selbstmord gedroht.

Von den anderen Forumsbesuchern bekam er ebenso keine Hilfe. Im Gegenteil, sie ermunterten oder beschimpften ihn noch. Auf der Internetseite justin.tv, wo Live-Videos übertragen werden können, veröffentlichte er schließlich seinen Abschiedsbrief und begann, seinen langsamen Tod der Öffentlichkeit zu präsentieren.

"Ich hoffe, jemand findet dieses Posting, und ich hoffe, meine Eltern wissen, dass ich es vermasselt habe und nicht sie. Es ist meine Schuld, dass mein ganzes Leben falsch gelaufen ist", ist in seiner letzten Nachricht zu lesen.

Während die kleine Kamera in seinem Zimmer zeigte, wie sich Abraham B. auf sein Bett legte und immer langsamer atmete, gingen die Beschimpfungen der anderen Forumsmitglieder weiter. Sie waren überzeugt, dass der Teenager den Suizid nur vorspielte. Lediglich ein einziger junger Internetbenutzer bettelte die anderen an, die Polizei zu verständigen. Sein E-Mail an die Exekutive blieb zunächst folgenlos. Erst als er sich das Mobiltelefon seines Vaters borgte und bei der zuständigen Polizeidienststelle anrufen konnte, reagierten die Beamten. Nach einer Stunde brachen sie die Haustüre von Abraham B. auf, die letzten Live-Bilder im Internet zeigten den Polizisten, der sich der Leiche näherte, ehe er die Kamera abschaltete.

Der Betreiber von justin.tv nahm nach Bekanntwerden des Vorfalls das Video von seiner Seite, im Internet kursieren aber weiter Ausschnitte und Standbilder. Viele der Forumsbesucher haben mittlerweile ihre eigenen, beleidigenden Postings wieder gelöscht.

Foren schwer kontrollierbar

Selbstmord scheint immer öfter Thema in Internetforen zu sein. Die Suche nach Seelenverwandten und unterbewusst oft auch nach Hilfe treibe viele verzweifelte Jugendliche zu virtuellen Plattformen, erklärte Gernot Sonneck von der Medizinischen Psychologie der Universität Wien der Austria Presse Agentur. Allein im deutschsprachigen Raum sind mehr als 40 solcher Foren zu finden. "Es schaut so aus, als würde vielen Suizidgefährdeten über diese Art von Kommunikation geholfen werden. Gleichzeitig aber werden ebenso viele in ihrem Vorhaben bestärkt."

Auch das Bundeskriminalamt sieht diese Entwicklung: "Zum Glück ist aber in den letzten Jahren nichts vorgefallen", so Leopold Löschl, Leiter des Büros für Computer- und Netzwerkkriminalität. Die Beamten seiner Abteilung durchforsten das Internet. Dabei werden in Österreich durchschnittlich zwei jugendliche User monatlich überprüft, die als gefährdet eingestuft werden. Technisch gesehen schauen die Ermittler bei Selbstmord-Foren oft machtlos zu. Einerseits erschwert die Fülle an Foren und Chats eine ausreichende Kontrolle, andererseits bieten selbst Filtersysteme nur eingeschränkten Schutz. Eine große Hilfe finden die Beamten in anderen Usern. (moe, ver, DER STANDARD Printausgabe, 22./23.11.2008)