Ausgerechnet einer ist in diesen Tagen nicht dabei: der Dalai Lama selbst. Bewusst bleibt der 73-jährige dem Exilkongress fern, "um die Debatte nicht zu stören" . Seit Montag beraten 660 Exil-Tibeter im indischen Dharamsala über die künftige China-Politik. Der Exilkongress ist nicht nur ein Stimmungstest. Im Hintergrund geht es auch um die Rolle des Dalai Lama selbst.

Nach Jahren fruchtloser Gespräche mit China ist die tibetische Bewegung gespalten. Der Dalai Lama selbst hat jüngst eingestanden, dass er gescheitert ist. Erstmals hat er nun seinen sanften "Mittelweg" zur Disposition gestellt. Aus der ganzen Welt sind Exil-Tibeter in die Exil-Hochburg am Fuße der Himalajas gereist, um unter Ausschluss der Öffentlichkeit den künftigen Kurs zu diskutieren.

Vor allem junge Exil-Tibeter drängen längst auf eine aggressivere Gangart gegenüber Peking und eine Abkehr vom Kurs ihres Oberhauptes. "Rangzen" , Unabhängigkeit, ist ihr Schlachtruf."Die meisten jüngeren Redner sprechen sich für Unabhängigkeit aus und wollen keine Kompromisse mit China" , sagt der 33-jährige Aktivist Tenzin Tsundue, der als einer der Wortführer gilt. "Es gibt eine große Kluft zwischen den Generationen."

Der Konflikt spiegelt sich auch in Tibet selbst wider. Über heimliche Kanäle ließ die Exil-Regierung in Dharamsala vor dem Treffen 17.000 Landsleute in Tibet befragen. Die Umfrage ist nicht repräsentativ, malt aber ein Stimmungsbild. Demnach wollen 8000 befolgen, was immer der Dalai Lama entscheidet. Weitere 2000 stehen ausdrücklich hinter seinem Mittelweg, der bloße Autonomie verfolgt. Aber 5000 sprechen sich für die Forderung nach voller Unabhängigkeit aus.

Vor allem für die Älteren ist die Autorität des Dalai Lama unantastbar. Viele Tibeter waren geschockt, als der 73-jährige öffentlich mit Rücktrittsgedanken spielte. "Wenn er könnte, würde er in Ruhestand gehen. Aber die Leute werden ihn nicht lassen" , sagt Youdon Aukatsang, der dem tibetischen Exil-Parlament angehört. "Wir haben keinen anderen visionären Führer wie ihn."

Eine aggressivere Strategie gegenüber Peking birgt jedoch auch Risiken. Vor allem die Landsleute in Tibet müssten dann die Rache Pekings fürchten. Bereits jetzt hat China die Truppen dort verstärkt. Das Regime kämpft ohnehin mit wachsenden Unruhen wegen der Wirtschaftskrise und wird alles tun, um das Riesenreich notfalls mit Gewalt zusammenzuhalten. Wütend drohte Peking in Richtung Dharamsala: "Jeder Versuch, Tibet von China zu separieren, wird zum Scheitern verurteilt sein." (Christine Möllhoff aus Neu-Delhi/DER STANDARD, Printausgabe, 22.11.2008)