Bild nicht mehr verfügbar.

Seit zehn Jahren haben Frauen in Österreich Zugang zum Soldatenberuf. Von derzeit 15.000 Berufssoldaten sind 335 Frauen, 72 davon befinden sich laut Heerespersonalamt im Ausbildungsdienst.

APA-FOTO: BUNDESHEER

Ein eiskalter Wind pfeift über den braunen Acker. Alle paar Minuten ein dumpfer Knall, der Brustkorb und Unterkiefer vibrieren lässt. Der Oberwachtmeister, ein junger Mann mit rasiertem Schädel und breiten Kotletten, brüllt: "Warum machen wir das?" Schweigen. "Damit wirklich jeder kapiert, wie´s funktioniert." Er deutet mit dem Kopf nach rechts: Einige Meter vom Feldweg entfernt lehnen eine Handvoll Rekruten in voller Montur - Sturmgewehre StG 77 geschultert, Helme auf den Köpfen - hinter einer etwa zwei Meter hohen Betonwand, die aus der aufgewühlten regennassen Erde ragt.

Durch eine Fensteröffnung sehen sie zu wie ein Kamerad in einigen Metern Entfernung den Abreißzünder einer Handgranate zieht, diese über die hüfthohe Mauer vor ihm wirft und von seinem Vorgesetzten auf den Boden gedrückt wird. Ein kaum hörbares Krachen, ein wenig Rauch. Mehr nicht. "Das ist der Übungsdurchgang. Wir hatten schon Leute, die haben den Abreißzünder geworfen und die Granate in der Hand behalten. Mit einer Scharfen ist das nicht lustig." Die echte Show steigt deshalb rund fünfzig Meter entfernt: Da werden scharfe Splittergranaten geworfen, von da kommt auch das Donnern der Explosionen.

Schnuppertag für Freiwillige

38 Augenpaare folgen dem Oberwachtmeister als er an einer hellblauen, eiförmigen Übungsgranate demonstriert, wie die Waffe funktioniert. Es sind Lehrlinge und Schüler, die es an diesem Tag am Truppenübungsplatz Allentsteig im niederösterreichischen Waldviertel zu beeindrucken gilt. Das österreichische Bundesheer hat zu einem Schnuppertag für die Einjährig-Freiwilligen-Ausbildung geladen. Auf dem Programm stehen neben der Handgranatendemonstration, ein kostenloses Mittagessen in der Kaserne und diverse Übungssprengungen.

Angereist sind pickelgesichtige Burschen mit Flaum auf der Oberlippe, die beim Anblick von Panzern und Gewehren "Oida, geil" rufen und zehn Mädchen, in Zweier- oder Dreiergrüppchen. Der Großteil der Teilnehmer wurde in einem khakifarbenen Bus aus Linz hergebracht, der Rest in Wien abgeholt.

Mit Highheels im Matsch

Während die Burschen schon auf der Fahrt fachsimpeln ("Die Eurofighter bringen echt nix. Die hätt´ ich nicht gekauft" oder "Die Parade am Heldenplatz ist ur fad. Da steht jedes Jahr ein Blackhawk."), wirken die Mädchen nicht so, als wären sie ernsthaft an einer Karriere beim Bundesheer interessiert. In dünnen Jäckchen steigen sie frierend im Matsch von einem Bein auf das andere. Eine Rothaarige stakst in schwarzen Lederstiefeln mit hohen Bleistiftabsätzen durch den Dreck, rudert dabei wie eine ungeübte Seiltänzerin mit den Armen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren und mit ihren hautengen Jeans in der knöcheltiefen Wasserlache zu landen. Rekruten und Ausbildner können sich das Lachen nicht verbeißen. Auch die fünf Rekrutinnen der Kompanie grinsen, strammstehend, den Blick geradeaus.

Aller Anfang ist schwer

Vor drei Monaten sind die jungen Frauen eingerückt. Damals waren sie noch zu fünfzehnt unter 65 Kameraden. Zehn Frauen und 16 Männer haben innerhalb der ersten beiden Wochen das Handtuch geworfen. "Der Anfang ist am Schlimmsten", sagt eine kleine untersetzte Blondine, während sie den Helm abnimmt und sich die Stirn kratzt. "Ja, da möchtest am liebsten die ganze Zeit rean", bestätigt ihre Kameradin. Warum? "Die Burschen sind halt viel stärker und rennen dir bei den Märschen ständig davon. Der psychische Druck ist ein Wahnsinn." Und wie ist das Verhältnis zu den Kameraden? "Na ja. Es gibt solche und solche. Aber eigentlich sind die meisten okay."

Seit zehn Jahren können sich Frauen in Österreich als Soldatinnen verdingen. Von derzeit rund 15.000 Berufssoldaten sind 335 Frauen, 72 davon befinden sich laut Heerespersonalamt im Ausbildungsdienst. Der dauert, nach freiwilliger Meldung und bestandener Eigungsprüfung, ein Jahr und dient zur Vorbereitung auf eine Stelle in einer Kaderpräsenzeinheit oder als Grundlage für eine Offiziers- oder Unteroffizierslaufbahn. Das Bundesheer hat vor allem eines zu bieten: sichere Jobs. Das Einstiegsgehalt der Rekruten liegt bei knappen 900 Euro im Monat, Unterkunft und Verpflegung sind kostenlos, zusätzlich gilt Freifahrt für das Pendeln zwischen Kaserne und Wohnort.

"Dass man von den Burschen nicht belächelt wird, muss man sich erarbeiten", sagt die Blonde. Mittlerweile mache ihnen die Ausbildung aber Spaß. "Handgranatenwerfen und sprengen ist cool", sagen die jungen Frauen. Ihr Ziel ist die "Mil-Ak", die Militär-Akademie um später an Auslandseinsätzen teilnehmen zu können. "Und ihr?", fragen sie die Schnuppertagsteilnehmerinnen. Die zucken mit den Schultern. "Keine Ahnung."

Schulausflug im Sperrgebiet

Die Fahrt zum Mittagessen in der Kaserne erinnert an einen Schulausflug: In den hinteren Reihen bewerfen sich Burschen mit Mandarinenschalen und boxen sich gegenseitig in die Oberarme, in den vorderen wird laut über das Mädchen mit den Stöckelschuhen gelästert.

Innerhalb von 30 Minuten werden an schmalen resopalbeschichteten Tischen mit Plastikblumendekoration wahlweise Schnitzel, Hühner Cordon-Bleu oder Fischstäbchen mit Reis, Gemüse und Salat hinuntergeschlungen. Danach geht es zum "Gewöhnungs- und Belehrungssprengen" in ein abgelegenes Waldstück. Gut 20 Minuten dauert die Fahrt. Vorbei an Schildern auf denen "Betreten verboten! Lebensgefahr!" zu lesen ist, an mit Reisig und braunem Laub getarnten Panzern, an einem Draken, der vornübergekippt auf der Nase liegt.

Der Truppenübungsplatz Allentsteig erstreckt sich über eine Fläche, beinahe so groß wie das Fürstentum Liechtenstein. In den Wäldern, in denen der Bus schließlich hält, hat bereits die Deutsche Wehrmacht Soldaten ausgebildet. Damals hieß der Landstrich noch "Döllersheimer Ländchen", benannt nach der ehemals größten Ortschaft der Gegend, Döllersheim. Geschätzte 7.000 Menschen wurden hier im Juni 1938 zwangsausgesiedelt um dem größten Manöverplatz des Deutschen Reiches Raum zu machen. Heute ist das Gebiet Eigentum der Republik Österreich. An seine Geschichte erinnert lediglich die Gedenkfeier für die Zwangsausgesiedelten, die alljährlich am Allerseelentag auf dem Döllersheimer Friedhof abgehalten wird. Auf jenem Friedhof, auf dem auch Adolf Hitlers Großmutter Maria Anna Schicklgruber begraben liegt.

Wind und Wetter

Mittlerweile bläst der Wind so stark, dass man sich mit dem ganzen Gewicht dagegenstemmen muss, will man vom Fleck kommen. Die Rekruten sitzen, Wurstbrote kauend auf dem laub- und nadelbedeckten Boden. Es hat zu regnen begonnen. Die Schnuppertagteilnehmer schlagen Jackenkrägen hoch und ziehen Kapuzen in die Gesichter.

Nach einem kurzen Fußmarsch durch knöcheltiefen Matsch und Wasserlachen - begleitet von allgemeinem Grinsen über die, vom Oberleutnant gestützte Rothaarige - sollen auf einer Waldlichtung die Sprengübungen stattfinden: Metalldosen mit Lunten, Holzplanken mit Plastiksprengstoff versehen. "Des Weiteren eine Schweineschwarte mit Zeitzünder", erklärt der zuständige Major, kugelbäuchig und mit gezwirbeltem Schnauzbart, in breitem Wienerisch. Die Schweineschwarte soll die Auswirkungen des Sprengstoffs auf eine Hand veranschaulichen. "Des Weiteren eine halbe Sau. Des Weiteren ein Viertel Sauschädel." Zündschnüre werden verlegt, Ohropax verteilt und alle stapfen zurück zum Waldrand um den Explosionen aus einem Sicherheitsabstand zu lauschen.

Das Donnern bleibt aus. Nach 45 Minuten, der erste leise Knall. Inzwischen ist die Kälte unerträglich und selbst jene Burschen, deren Augen erst vor Begeisterung geleuchtet haben, machen nun lange Gesichter. Die Mädchen stehen zusammengekrümmt, die Köpfe nahezu in den Schultern verschwunden und werfen dem Oberwachtmeister böse Blicke zu. Der stiefelt breitbeinig durch den Schlamm: "Es tut uns sehr leid, aber es gibt Probleme mit den Zündschnüren. Wenn niemand dagegen ist, werden wir Sie jetzt nach Linz und Wien zurückfahren." Niemand ist dagegen.

Auf der Rückfahrt ist es still im Bus. Nur ein Mädchen und ein Bursch erkundigen sich beim Wehrdienstberater nach dem Aufnahmeprozedere. "Das mach´ ich sicher nie wieder", flucht die Rothaarige beim Aussteigen und zieht zähneklappernd die Jacke über ihrem ausgeschnittenen T-Shirt zu. (1.12.2008, derStandard.at, Birgit Wittstock)