Will den rund 200.000 Österreichern, die es dringend brauchen, Psychotherapie ermöglichen -und fordert daher mehr Geld für entsprechende Kassenleistungen ein: ÖBVP-Chefin Eva Mückstein

 

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STANDARD: Frau Mückstein, die Kassen stöhnen unter steigenden Medikamentenausgaben, Buchautor Hans Weiss macht dafür großteils den Konkurrenzkampf zwischen Pharmafirmen verantwortlich. Was sagen Sie als Vertreterin der Psychotherapie zu diesem Konflikt?

Mückstein: Schauen Sie, vergangene Woche war ich bei einer Tagung über "Verletzte Kinderseelen", wo festgestellt wurde, dass der Psychopharmakakonsum bei Kindern zwischen dem fünften und dem achten sowie dem 13. und dem 17. Lebensjahr enorm ansteigt. Ich finde es bitter und erstaunlich, wie selten die Verbindung hergestellt wird, dass stattdessen Psychotherapie helfen könnte.

STANDARD: Ist das ein Entweder-oder? Viele Psychotherapeuten betonen doch, dass sie gegen den Psychopharmakakonsum ihrer Patienten nichts einzuwenden haben.

Mückstein: Das stimmt teilweise - und hat mehrere Gründe. Die Ärzteschaft definiert oftmals sogenannte "State-of-the-art-Behandlungen" auf der Basis bedingt aussagekräftiger Studien, etwa Psychopharmaka- und Psychotherapie bei mittelschweren Depressionen oder bei Zwangsstörungen von Kindern. Dabei kommt man bei solchen Störungen oft mit Psychotherapie allein sehr gut zurecht. Durch den Einfluss von Ärzten und die Konkurrenz zwischen Psychotherapie und Psychiatrie geraten Psychotherapeuten oft unter Anpassungsdruck.

STANDARD: Also raten Sie Ihren Patienten eher ab, Psychopharmaka zu nehmen?

Mückstein: Das ist unterschiedlich. Psychopharmaka sind nur Krücken auf Zeit: Wenn es nötig ist, raten wir zur Tablette, denn erst wenn eine Stabilisierung gelungen ist, kann am eigentlichen Problem gearbeitet werden. Wenn Patienten dann Veränderungsprozesse eigenverantwortlich mittragen können, brauchen sie keine psychopharmakologische Behandlung mehr.

STANDARD: Doch ohne Tabletten kann das doch recht schwierig sein.

Mückstein: Die Frage ist, was ein Patient will. Wenn sich jemand besser verstehen oder vom Therapeuten verstanden werden möchte, so ist das in der Regel ein befriedigender Prozess, den der Behandelte für sich positiv erlebt.

STANDARD: Also kann Psychotherapie mithelfen, die Medikamentenkosten zu senken?

Mückstein: So möchte ich das nicht sehen. Es ist inakzeptabel, wenn eine Gesundheitsleistung nur dann angeboten wird, wenn sie hilft, etwas anderes einzusparen. Psychotherapie wirkt aus sich heraus, das ist ein Faktum. Was die Medikamentenkosten angeht, hat etwa die Niederösterreichische Gebietskrankenkasse eine Evaluationsstudie veröffentlicht, aus der hervorgeht, dass der Medikamentenkonsum und die Häufigkeit von Arztbesuchen zwar nicht während, aber ab drei Jahre nach Beginn der Therapie abnehmen. Psychotherapie hilft demnach langfristig - und das spart im Endeffekt auch Medikamente und Kosten.

STANDARD: Die Krankenkassen scheinen das aber keineswegs zu honorieren. Der Zuschuss für Versicherte zur Psychotherapie wurde seit 1992 nicht valorisiert.

Mückstein: Das stimmt. Im Moment befinden sich in Österreich etwa 50.000 Menschen in Psychotherapie, die Hälfte davon voll finanziert auf Krankenschein, die andere Hälfte bezuschusst mit 21,80 Euro pro Stunde. Wie viele Menschen sich privat behandeln lassen, weiß man nicht. Das Problem dabei ist, dass sich im derzeitigen System viele Menschen Psychotherapie unter diesen Umständen nicht leisten können. Dabei wird der Psychotherapie laut einer Studie bei seelischen Störungen unter allen Behandlungsmethoden das größte Vertrauen entgegengebracht - und von den rund 200.000 Menschen in Österreich, die laut Untersuchungen Psychotherapie brauchen, wären die meisten bereit dazu.

STANDARD: Also hat die neue Bundesregierung einiges zu tun, um die Situation zu verbessern.

Mückstein: Sicher, aber laut unseren Informationen ist vielmehr zu befürchten, dass in der Regierungserklärung wieder nur vage Absichtserklärung zur Psychotherapie stehen werden. Dabei haben wir einen Gesamtvertrag in Form eines Best-Practice-Modells erarbeitet, der vom Hauptverband für gut befunden wurde. Er könnte die Hälfte jener Menschen, die Psychotherapie brauchen, in Behandlung bringen - entweder auf Krankenschein oder per Zuschuss von 41 Euro pro Stunde.

STANDARD: Was würde das kosten?

Mückstein: 40 Millionen Euro pro Jahr, also etwa 0,5 Prozent der gesamten Gesundheitsausgaben. (Irene Brickner, DER STANDARD, Printausgabe, 24.11.2008)