Ärmel hoch!

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Warum sich anstrengen, wenn alles unsicherer denn je ist? Wer seinen Karren jetzt laufen lässt, läuft Gefahr, überrollt zu werden. Ärmel hochkrempeln zahlt sich aus. Ein Argumentarium von Hartmut Volk

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Kam der große Philosoph Ernst Bloch auf "ein gelingendes Leben" zu sprechen, wies er seine Zuhörer stets auf eine Tatsache hin: "Man muß in das Gelingen verliebt sein." Wie es scheint, ist diese Eigenschaft in bedenklichem Ausmaß unter die Räder des Zeitgeistes gekommen. Nicht das Verliebtsein in das Gelingen, sondern Argwohn und Zweifel an allem und jedem treibt die Mehrzahl der Leute um, schürt Zukunftsängste, trübt ihnen den Blick und hält sie von beherztem Handeln ab. Und die Politik mit ihrem nimmermüden Bemühen, sich in der Kunst des Halbgaren, Zu-kurz-Gedachten und Übereilten immer wieder selbst zu übertreffen, heizt diese allgemeine Verunsicherung permanent an.

Wer sich beispielsweise ernsthaft mit der "Klimakatastrophe" befasst, kommt rasch staunend zu der Erkenntnis: Das, was als der Wahrheit letzter Schluss verkauft wird, ist bestenfalls die Wahrheit derer, die rasant die Meinungsführerschaft in dieser Sache an sich gerissen haben.
Warum sich also noch anstrengen, mehr tun als nötig, wenn der Erfolg unsicherer denn je ist? Nicht nur frustrierte Arbeitnehmer stellen diese Frage angesichts der potenziellen Unsicherheit ihrer Arbeitsplätze. Auch so manchen Unternehmer treibt sie um. Doch wer für einem lichten Moment aus dem verbreiteten und verordneten Trübsinn erwacht, sollte die Gunst der Stunde sogleich nutzen und sich eine uralte Erkenntnis in Erinnerung rufen: Es sind Zeiten wie diese, in der die Welt sich neu sortiert, die die Spreu vom Weizen trennen, die neben den durchaus nicht zu unterschätzenden Stolpersteinen auch reichlich Chancen bieten.

Wege finden - oder bauen

Während die einen entmutigt und seelisch entkräftet unter der Welt leiden, rollen sich andere kräftig die Ärmel hoch und folgen dem Motto des karthagischen Feldherr Hannibal „Entweder wir finden einen Weg oder wir bauen einen." Die nicht zu übersehende Konsequenz daraus heißt: Wer knatscht, mit dem Schicksal hadert und seinen Berufs-, Unternehmens- oder Lebenskarren einfach laufen lässt, läuft doppelt Gefahr, von den Ereignissen überrollt zu werden - und damit dann wirklich in Gefahr zu geraten, unter die Räder zu kommen.

Kennen Sie Sisyphos, jenen König aus Korinth, den die Götter wegen seiner Verschlagenheit damit bestraft hatten, in alle Ewigkeit einen Felsbrocken einen Hang hinaufzuwälzen, der, kaum oben angelangt, sofort wieder herunterrollte. Diesen Sisyphos müssen wir uns als einen glücklichen Menschen vorstellen, empfahl der große französische Schriftsteller und Philosoph Albert Camus. Ausgerechnet in dieser scheinbar kompletten Sinnlosigkeit soll Glück, soll Erfüllung stecken? Glück als permanente, nie entmutigte, sich andauernd wiederholende Anstrengung? Goethe zweifelte nicht daran und sah das als sein Lebensrezept an wie seine Bemerkung "Schwerer Dienste tägliche Bewahrung, sonst bedarf es keiner Offenbarung" zeigt. Das Wesen des Glücks, eines geglückten Lebens, besteht nun einmal darin, auch in schwierigen Situationen nicht zu resignieren, tatkräftig zu bleiben, allen Umständen zum Trotz in seiner Aktivität nicht nachzulassen, nicht aufzugeben, sich nicht aufzugeben.

Zu wagen macht Angst

Viktor E. Frankl, der von den Zeitumständen so geschundene Wiener Neurologe und Psychiater, ist das überzeugendste Beispiel dafür, dass so etwas möglich ist; dass es gelingen kann, in allem einen wegweisenden Sinn zu finden. Und aus dieser Sinnfindung heraus den Umständen nicht nur trotzend, sondern auch Früchte bringend zu leben. Seine Logotherapie, die in erster Linie darauf abzielt, Menschen bei der Sinnfindung im Leben und der Bewältigung von Leid zu unterstützen, ist der wirkungsmächtige Beweis dafür. Sie wurde zur dritten großen Therapieform der Wiener Richtung der Psychotherapie neben Freuds Psychoanalyse und Adlers Individualpsychologie.
"Wer ewig strebend sich bemüht, den werden wir erlösen ...", lässt Goethe im zweiten Teil des "Faust" die Engel sagen. Und der dänische Philosoph Sören Kierkegaard erinnerte gern daran: "Zu wagen verursacht Angst; nicht zu wagen bedeutet sich selbst verlieren."

Wer mit dem Schicksal hadert, konserviert ja nicht nur seine alten Schwierigkeiten, er manövriert sich auch über kurz oder lang in neue hinein, findet also keine Erlösung. Es ist also schon mehr als ratsam, allem klimatischen Untergangsgetöse und auch der Bankenkrise zum Trotz die Lust am Handeln nicht zu verlieren - oder sie entschlossen wieder zu entdecken. Dabei ist weniger gefragt, sich noch und noch und noch intensiver auf den gewohnten Wegen abzurackern.

Weg mit den Fesseln

So wichtig Beharrlichkeit als solche auch ist, die Anstrengung, die in unseren Tagen gefragt ist, ist die Überwindung alter, gewohnter, im Alten und Gewohnten festhaltender Denk- und Verhaltensweisen. Gefragt ist die Anstrengung, sich von all den liebgewordenen, zunehmend aber doch als Fesseln wirkenden Vorstellungen darüber zu lösen, wie das Leben, die Arbeit und vor allem andere Menschen zu sein und zu funktionieren haben. Wer dogmatisch denkt, denkt befangen. Und Befangenheit lähmt nicht nur, sie führt auch in die Irre.

Weltoffen zu sein, sich selbst und seine Lebensumstände wieder zu akzeptieren und in Übereinstimmung mit neuen, selbst bestimmten Werten und Zielen zu handeln, bekommt gerade in dieser ohne Zweifel unter vielfältigen Aspekten heiklen Situation eine herausragende Bedeutung. "Sage dir immer, ich kann, wenn noch so einsam, an allen Orten glücklich sein; denn glücklich ist, wer sich selbst ein glücklich Los bereitet, dies ist: gute Vorstellungen, gutes Streben, gute Handlungen" riet der große Philosoph auf dem römischen Kaiserthron, Marc Aurel, seinen Untertanen - und sich selbst.

Folgen wir also ihm und auch dem Rat von Niccolò Machiavelli: "Es ist besser, etwas zu tun und es zu bereuen, als nichts zu tun und es trotzdem zu bereuen." Und beherzigen wir die Erkenntnis des großen strategischen Denkers Moltke. In seinen taktisch-strategischen Aufsätzen aus den Jahren 1857 bis 1871 notierte er: "An der unwiderstehlichen Gewalt der Verhältnisse scheitert selbst der beste Mann, und von ihr wird ebensooft der mittelmäßige getragen. Aber Glück hat auf die Dauer meist wohl nur der Tüchtige." (Hartmut Volk/DER STANDARD; Printausgabe, 22./23.11.2008)