Manfred della Schiava.

Foto: MDS Network

Wenn einem die Arbeit zu viel wird, hilft ein Kopfstand.

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Mit Web 2.0-Instrumenten wie Wikis und Blogs lässt sich die Produktivität um bis zu 30 Prozent steigern, sagt Wissensberater Manfred della Schiava im Interview mit derStandard.at/Karriere: "Man verbringt alleine 15 bis 20 Prozent seiner Arbeitszeit mit dem Suchen und Finden von Informationen und Dokumenten." Werkzeuge, um Wissen zu kanalisieren und zu organisieren, könnten Abhilfe schaffen, ist er überzeugt.

derStandard.at: Im privaten Bereich spielt das Web 2.0 eine sehr große Rolle. Können Unternehmen mit dieser Form der Vernetzung Schritt halten?

Della Schiava: Für Unternehmen wird Web 2.0 ein sehr großes Thema, weil die Produktivität damit in direktem Zusammenhang steht. Allerdings befinden wir uns am Anfang, da viele Unternehmen erst vor der Einführung stehen.

derStandard.at: Auf welche Tools sollten Firmen im Sinne der Effizienzsteigerung setzen: Blogs, Wikis?

Della Schiava: Bei den Instrumenten geht es vor allem um die Wikis, da mit deren Hilfe Wissen dokumentiert werden kann. Wichtig sind auch Tools für Netmeetings oder Instant Messaging. Im Zentrum steht die Frage: Wie kann ich Personen, von denen ich Wissen brauche, schnell erreichen.

derStandard.at: In welchem Prozentbereich spielen sich Einsparungspotenziale ab?

Della Schiava: Man verbringt alleine 15 bis 20 Prozent seiner Arbeitszeit mit dem Suchen und Finden von Informationen und Dokumenten. Bei unseren Untersuchungen hat sich gezeigt, dass Organisationen und Abteilungen, die tatsächlich Web 2.0- und Wissensmanagementtechnologien einführen, um bis zu 30 Prozent produktiver sind als jene, die das noch nicht tun. Das geht ganz stark auf Wikis zurück oder auf die Durchführung von virtuellen Konferenzen.

derStandard.at: Sind Wikis die beste Möglichkeit, um firmeninternes Wissen zu dokumentieren und für alle zugänglich zu machen?

Della Schiava: Grundsätzlich ist es bei der Einführung von Web 2.0-Technologien wichtig, dass diese bei der Implementierung gut vorbereitet und begleitet werden. Der Mensch ist der Schlüssel zum Erfolg und nicht das Werkzeug. Beim Einführungsprozess muss geklärt werden, was ein Team mit diesen Instrumenten erreichen will. Man kann etwa festlegen, dass Kundenwissen oder Prozesswissen für eine Firma wichtig ist und das kann dann in Wikis dokumentiert und weiter entwickelt werden. Die Vorteile sind, dass Gespräche und Meetings effizienter durchgeführt werden können, weil dokumentiertes Wissen verfügbar ist und sich die Leute schon vorher in die Materie einlesen können. Die wirkliche Gesprächszeit kann dann für die Lösungsfindung verwendet werden.

derStandard.at: Kann damit der Verlust an Wissen verhindert werden?

Della Schiava: Wenn zum Beispiel Wissensträger eine Abteilung verlassen, weil sie in Pension gehen oder einen Karrieresprung machen, dann ist es für Wissenstransferprozesse unglaublich hilfreich auf dokumentiertes Wissen zurückzugreifen. Informationen oder Dateien zu finden, ist ein sehr zeitaufwändiger Prozess und Wikis können da sehr hilfreich sein.

derStandard.at: Das ist dann mehr eine organisatorische Frage als eine technische, weil die Kapazitäten in Form von zum Beispiel Serverleistungen zumeist zur Verfügung stehen?

Della Schiava: Der Erfolg ist eine organisatorische und eine menschliche Frage, weil sich Leute auch Regeln vereinbaren müssen, wie sie solche Werkzeuge verwenden. Sie müssen auch Absprachen treffen, was zum Beispiel die Sicherheit anbelangt. Wer hat Zugriff und auf sensible Daten wie etwa Personalakten und wer nicht.

derStandard.at: Wenn technische oder kommunikative Instrumente bei Firmen implementiert werden, wie können ältere, nicht so technikaffine Mitarbeiter "mitgenommen" werden?

Della Schiava: Der Generationenkonflikt ist ein sehr wichtiges Thema. Während junge Leute, die neu ins Unternehmen kommen, schon zuvor zumeist im privaten Bereich mit Social Software oder Gruppenkommunikation in Berührung gekommen sind, ist das bei vielen älteren Mitarbeitern nicht der Fall. Hier müssen Organisationen erst einmal das Bewusstsein dafür schaffen, dass solche neuen Technologien einen Nutzen haben. In weiterer Folge, wenn das Bewusstsein da ist, dann muss man natürlich Schulungsmaßnahmen durchführen. Aber das ist erst der zweite Schritt.

derStandard.at: Bei welchen Firmen sind Tools wie überhaupt Wikis sinnvoll. Soll man das von der Mitarbeiteranzahl oder der Branche abhängig machen?

Della Schiava: Jeder Wissensarbeiter in einer Organisation, egal ob sie groß oder klein ist, wird diese Werkzeuge verwenden. Die großen Organisationen, weil sie in der Zusammenarbeit produktiver werden müssen, egal ob in einer Marketing-, Vertriebs- oder HR-Abteilung. Die kleinen Unternehmen, auch wenn es sich dabei um Ich-AGs handelt, brauchen es, um mit ihren Kunden effektiver kommunizieren zu können. Natürlich gibt es auch Bereiche wie in der Produktion oder bei Handwerksbetrieben, wo das nicht erforderlich ist.

derStandard.at: Das betrifft also primär die "Wissensarbeit". Wie definieren Sie das?

Della Schiava: So wird jene Arbeit bezeichnet, die ganz stark mit Information und Kommunikation zu tun hat, etwa das Suchen, das Beschaffen oder Zusammenführen von Information. Also Bereiche, in für die Leistungserbringung Dokumentation, Kommunikation und Entscheidungen wichtig sind.

derStandard.at: Wie sieht es in Sachen E-Mails aus? Punktuelles Checken von Mails und das Mail-Programm auch zwischendurch schließen?

Della Schiava: Es gibt da gerade einen Paradigmenwechsel, der im Bereich Wissensmanagement stattfindet. Noch ist es so, dass man sich den Posteingang mit Mails zuschütten lässt. In Zukunft werden die Leute aber klarer Information selektieren und sich Regeln und Filter setzen. Das heißt, dass ich nicht mehr alles in meine E-Mail-Box lasse, sondern ich wähle selbst aus, was mich interessiert oder welche Information ich abonnieren will; RSS-Feeds bekommen hier eine größere Bedeutung.

derStandard.at: Wie kann ich beeinflussen, dass ich nur relevante Mails erhalte und keine, die mich nicht interessieren?

Della Schiava: Man kann zum Beispiel ganze Usergruppen oder Themen ausschließen oder man kann es personifiziert anlegen. Das E-Mailen der Zukunft hängt mit den Portalen zusammen. Wenn das für mich eine wichtige Information oder eine wichtige Informationsquelle ist und sich etwas geändert hat oder ein Dokument aktualisiert wurde, dann kann ich sagen, dass ich eine Benachrichtigung möchte. Sie haben ja auch als Privatperson die Möglichkeit, von Google bestimmte Themen zu abonnieren. Das gleiche wird auch in Unternehmen kommen. Für bestimmte Bereiche, die in die eigene Zuständigkeit fallen, können Sie Themenabos aufnehmen.

derStandard.at: Sollte jeder Chef einen Blog betreiben, um mit den Mitarbeitern zu kommunizieren?

Della Schiava: Es geht nicht um die Entscheidung für einzelne Instrumente sondern um ein Bündel. Für die Produktivität ist ein sinnvoller Mix an unterschiedlichen Methoden und Technologien entscheidend und nicht einzelne Maßnahmen. Ob der Wissensaustausch dann via Blogs, Wikis oder Meetings funktioniert, ist immer vom jeweiligen Kommunikationsziel abhängig.

derStandard.at: Wie sieht es bei Chefs mit der Befürchtung aus, dass sie negatives Feedback bekommen, wenn sie sich dem Austausch stellen? Ist das eine neue Form der Kommunikation, die sie nicht gewohnt sind?

Della Schiava: Das ist für Führungskräfte und Mitarbeiter ein Thema. Generell sind Emotionen, die sich dann darin widerspiegeln können, ernst zu nehmen. Das sind auch die Gründe, warum eine organisatorische Begleitung neben diesen Instrumenten stattfinden muss, weil das auch Veränderungen in der bisherigen Kommunikationskultur darstellt. Mit solchen Instrumenten werden schneller Dinge öffentlich, die vorher unter Verschluss gehalten wurden. Man muss lernen mit Technologien, die eine Bewertung oder Kommentare ermöglichen, umzugehen.

derStandard.at: Hat mittlerweile schon jedes größere Unternehmen eigene Wissensmanager oder ist das Bewusstsein für einen Bereich wie "Wissensmanagement" noch nicht so stark ausgeprägt?

Della Schiava: Ich bin seit 1996 im Wissensmanagement tätig und es findet ein kontinuierlicher Prozess statt. Für mich hat es im letzen Jahr einen sehr klaren Wandel in der Bedeutung von Wissensmanagement gegeben. Große Organisationen haben erkannt, dass man Wissensmanagement braucht. Die Frage ist heute nicht mehr: Ist es sinnvoll oder nicht sinnvoll, sondern, wie machen wir es?

derStandard.at: Wie und wo gibt es noch Optimierungspotenziale? Reisekosten für Konferenzen könnte man sich zum Beispiel sparen, weil das ja auf virtueller Ebene ablaufen kann.

Della Schiava: Solche virtuellen Meetings wie Video-, Net- oder Telefonkonferenzen könnten viel öfters eingesetzt werden. Wir sagen nicht, dass es möglich ist, alle persönlichen Meetings in eine virtuelle Welt zu transportieren. Manchmal ist es besser und effektiver, wenn die Teilnehmer zusammensitzen. Es gibt aber unglaublich viele Meetings, wo das nicht erforderlich ist. Wenn man nur 30 Prozent der Meetings auf eine virtuelle Basis umstellen würde, dann wären das gewaltige Einsparungen bei den Kosten. Abgesehen davon, dass sich so Entscheidungsprozesse beschleunigen ließen, könnte das auch was in Sachen Energieverbrauch und Umweltschutz bewirken.

derStandard.at: Wenn alle Technologien ortsunabhängig zur Verfügung stehen, sind mobile Arbeitsplätze der nächste Schritt. Wird der Schreibtisch im Büro obsolet werden?

Della Schiava: Es sind dort, wo neue Bürogebäude geplant werden, die Bilder von Containerarbeitsplätzen im Kopf. Das heißt, dass Leute keinen fixen Arbeitsplatz mehr haben, sondern nur mehr eine Art „Docking-Station". In Zeiten von Laptops, Blackberrys und Smartphones kann man auf diese Weise natürlich Kosten sparen. Man darf nur nicht vergessen, dass Wissensarbeiter nicht nur effizient arbeiten müssen, sondern auch Ruhephasen und Kreativräume brauchen. Wer Leuten einen Arbeitsplatz wegnimmt und auf mobile Arbeitsplätze setzt, der muss auf der anderen Seite auch dafür Sorge tragen, dass sie einen Kreativraum zur Verfügung haben.

derStandard.at: Wie können solche Räume gestaltet sein, damit sie als Kreativräume durchgehen?

Della Schiava: Das sind Räume, die einfach kreative Prozesse ermöglichen. Zum Beispiel das Dachgeschoss eines Bürogebäudes oder Räume mit besonderem Ausblick könnten dazu dienen, um dort Wissen zu visualisieren und zu dokumentieren.

derStandard.at: Bei diesen mobilen Arbeitsplätzen bleibt ja automatisch der persönliche Austausch mit Kollegen auf der Strecke. Sollen sich die dann in diesen Kreativräumen treffen?

Della Schiava: Natürlich nehmen aufgrund der Mobilität und der Technologien die persönlichen Kontakte ab. Deswegen ist es ganz wichtig, hier einen Ausgleich zu schaffen. Diese neuen Kommunikationsstrukturen implizieren, dass es auch Änderungen beim Führungsverhalten geben muss. Die Führungskraft von morgen muss wissen, wie sie solche virtuellen Teams führt. Das ist einfach ein Lernprozess. Dabei geht es um das Steuern von regelmäßiger virtueller oder persönlicher Kommunikation, zum Beispiel in Form von virtuellen Konferenzen oder persönlichen Meetings. Ziele und Ergebnisse müssen hier noch klarer definiert werden als das jetzt der Fall ist.

derStandard.at: Via Internet, Blackberrys etc. ist man ja theoretisch rund um die Uhr auch für geschäftliche Belange erreichbar. Wie oder wann sollte man da den roten Knopf drücken?

Della Schiava: Das ist jetzt nicht von der Uhrzeit abhängig. Der Mensch muss selbst die Entscheidung treffen, wann er erreichbar sein will und wann nicht. Diese Diktion: Ich muss rund um die Uhr verfügbar sein, ist natürlich vollkommen ungesund und unproduktiv. Das wäre ein Missbrauch der Technologie in jede Richtung. Egal ob sie vom Unternehmen oder vom Einzelnen selbst ausgeht.

derStandard.at: Das ist dann eine individuelle Entscheidung.

Della Schiava: Es gibt einfach Jobs, wo Sie bis 20.00 Uhr oder länger erreichbar sein müssen. Dabei muss es aber klar sein, dass es dann Ruhezeiten gibt. Es ist wichtig, dass sich jeder darüber im Klaren ist, dass er für Ruhezeiten selbst verantwortlich ist und diese auch umsetzt.

derStandard.at: Bei den ganzen Technologien geht es letztendlich um Effizienz- und Produktivitätssteigerungen. Werden solche "Optimierungsprozesse" in Zukunft in noch viel mehr Burnouts resultieren?

Della Schiava: Das ist natürlich ein ganz wichtiger Punkt. Wir verstehen unter Produktivität sowohl die Effizienz als auch die Effektivität. Wenn ich nur auf die Effizienz ziele, dann komme ich in die Hamsterrad-Falle. Ich kann immer schneller und schneller im Rad laufen oder immer mehr E-Mails abarbeiten, aber das ist natürlich nicht sinnvoll oder effektiv. Ganz im Gegenteil landet man damit im Stress oder dann im Burnout. Ich brauche Ruhe und Freiräume, in denen dann Entschleunigung stattfinden kann. Wissen entsteht aus der Kraft der Stille.

Um Kreativität zu entfalten, muss ich von diesem hyperaktiven Level wieder herunterkommen. Dieser Umgang mit Polaritäten ist extrem wichtig für die Wissensarbeit. Nicht nur aus gesundheitlichen Gründen sonder auch, um die richtigen Entscheidungen zu treffen. Wir experimentieren seit einigen Jahren mit Yoga und haben ganz klar festgestellt, dass Yoga auf der einen Seite die Stress- und Burnout-Gefahr reduziert und auf der anderen Seite zu besseren Entscheidungen führt.

derStandard.at: Sollte man das dann als Unternehmen institutionalisieren?

Della Schiava: Das könnte Teil der Unternehmenskultur sein. Es gibt ja auch schon Betriebe, die Ruheräume einrichten, wo man sich bewusst zurückziehen kann, um nicht mit Mails, dem Stress oder dem Lärmpegel konfrontiert zu werden. Für manche mag das noch irritierend klingen, aber eine andere Möglichkeit wäre, zum Beispiel ein Meeting mit einer dreiminütigen Ruhepause oder mit Atemübungen zu beginnen. Das bringt eine ganz andere Aufmerksamkeit und Meeting-Qualität, weil man alles, was vorher an Emotionen und Aggressionen da war, auf diese Weise ad acta legen kann. (om, derStandard.at, 20.11.2008)