Barcelona - Ärzte und Wissenschafter der Universitätsklinik in Barcelona in Spanien haben für eine 30 Jahre alte Frau, deren linker Hauptbronchus - die Verbindung zwischen der Luftröhre und dem linken Lungenflügel - irreparabel geschädigt war, aus Spendermaterial und Zellen der Patientin eine neue Bronchie "gezüchtet". Der Kranken geht es vier Monate nach dem Eingriff gut, hieß es am Mittwoch in der britischen Medizin-Fachzeitschrift "The Lancet".

"Defekte an den großen Luftwegen stellen für die Medizin ein großes Problem dar, weil es keine adäquaten Behandlungsmöglichkeiten gibt", schrieben Paolo Macchiarini (Abteilung für Thoraxchirurgie) und die Co-Autoren. Die Patientin litt nach einer überstandenen Tuberkulose an einer Verengung des linken Hauptbronchus und damit verbunden an schwerster Atemnot. Auch die Stützung durch einen Stent half nicht. Als Behandlung stand vorerst nur noch die Entfernung der gesamten Lunge zur Diskussion.

Tissue-Engineering

Doch die Wissenschafter setzten auf Tissue-Engineering. Sie entnahmen einer 51 Jahre alten Organspenderin, die einer Gehirnblutung erlegen war, ein sieben Zentimeter langes Stück der entsprechenden Bronchie. Dann wurde dieses Material völlig von immunogenen Zellen befreit. Übrig blieb nur noch eine für das Abwehrsystem der Empfängerin inerte Grundstruktur (Matrix). Gleichzeitig wurden der 30-Jährigen Knochenmarkzellen (Stammzellen) sowie Epithelzellen aus dem anderen Lungenflügel entnommen. Epithelzellen kleiden die Bronchien aus.

Aus den Stammzellen züchteten die spanischen Ärzte im Labor "neue" Knorpelzellen (Chondrozyten). Schließlich wurden sowohl die Epithelzellen als auch die Knorpelzellen auf die Stützstruktur von der Organspenderin aufgebracht. Diese Bronchie wurde der Kolumbianerin dann als Ersatz eingesetzt.

Keine Immunsuppressiva nötig

Macchiarini und die Co-Autoren: "Das Implantat bedeutete für die Empfängerin die Wiederherstellung eines normalen Atemweges, verbesserte ihre Lebensqualität und zeigte nach vier Monaten ein völlig normales Aussehen und ein völlig normales mechanisches Verhalten." Das Gewebe wurde durch Gefäßneubildungen wieder gut durchblutet. Die Frau hatte bereits zehn Tage nach der Operation aus dem Spital entlassen werden können. Weil es zu keiner Abstoßungsreaktion kam, muss sie auch keine Immunsuppressiva einnehmen. Sie kann - beispielsweise - locker zwei Stockwerke Stiegen steigen, 500 Meter ohne Stopp gehen und sich um ihre Kinder kümmern.

Die Kranke, Claudia Castillo: "Die Möglichkeit, die Entfernung meiner Lunge zu vermeiden und stattdessen bloß die kranke Bronchie mit 'gezüchtetem' Material zu ersetzen, hat mir wieder die Chance auf ein normales Leben gegeben, das ich jetzt mit meiner Familie und meinen Kindern genieße."

Bewertung

"Das ist natürlich noch nicht so etabliert. Es ist aber ein ganz neuer Weg. Die Frau hatte eine extrem seltene Erkrankung. Man muss auch auf die langfristigen Resultate warten. Aber die kann man fairerweise derzeit noch nicht einfordern." So kommentierte Walter Klepetko, Chef des Lungentransplantationsprogrammes am Wiener AKH (Chirurgische Universitätsklinik/Herz-Thorarx-Chirurgie) die Arbeiten seiner spanischen Kollegen. Klepetko und sein Team konnten schon vor rund fünf Jahren zeigen, dass man solche Gewebeteile - zum Beispiel eine Trachea - transplantieren könnte und haben dies auch wissenschaftlich publiziert. Das Zentrum an der MedUni Wien liegt in der Zahl der Lungentransplantationen mit an der Weltspitze. (APA)