Im Jahr 2000 machte Behindertenvertreter Manfred Srb mit der Aktion "Behindertengerecht" auf Mängel aufmerksam. Heute agieren die Behindertenpolitiker "ruhiger und braver".

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Behindertenpolitik hat zurzeit eine Randgruppenstellung. Den Eindruck hat zumindest Manfred Srb, Sprecher des Vereins Bizeps (Behindertenberatung - Zentrum für Selbstbestimmtes Leben). Dabei ist laut dem Bericht über die Lage der Menschen mit Behinderung 2008 jeder fünfte Österreicher zumindest im weitesten Sinne behindert. 

"Ich habe sogar das Gefühl, dass das Interesse an dem Thema in den letzten Jahren gesunken ist", so Srb im Gespräch mit derStandard.at. Derzeit seien eben MigrantInnen- oder Frauenpolitik die Dauerbrenner. Und Srb gibt zu: "In den letzten Jahren waren wir immer schön ruhig und brav."

Aktionismus in den 90er Jahren

Ein Zeichen dafür, dass man mit der Situation zufrieden ist? "Auf keinen Fall", so Srb, der von 1986 bis 1994 Nationalratsabgeordneter der Grünen war. Er war der erste selbst betroffene Behindertensprecher im Parlament. In den 90er Jahren habe sich dort einiges getan: "Mit einem Hungerstreik und einer Behindertendemonstration haben wir uns damals das Pflegegeld erkämpft", erinnert er sich.

Die gesetzliche Gleichstellung ließ länger auf sich warten: Am 1. Jänner 2006 trat das Behindertengleichstellungsgesetz in Kraft. Darin enthalten sind unter anderem das Diskriminierungsverbot im Alltag und eine Novelle des Behinderteneinstellungsgesetzes. Zufrieden ist der Bizeps-Sprecher damit jedoch noch nicht.

Personaldiskussion

Derzeit ärgert sich die Behindertenbewegung jedoch vorwiegend darüber, dass es kaum Menschen mit Behinderung im Nationalrat gibt: "Das ist eine grobe Missachtung einer großen Bevölkerungsgruppe", findet Srb. Die Grüne Theresia Haidlmayr kandidierte nicht mehr bei der vergangenen Wahl, weil sie "keine Chance mehr habe, weil die Signale der Grünen einfach so gesetzt sind, dass man junge und neue Gesichter will."

Auch ÖVP-Behindertensprecher Franz-Joseph Huainigg hat keinen Fixplatz mehr im Nationalrat. "Die Chancen, dass er aber doch noch nachrückt, stehen gut", weiß Srb. Eine Pressesprecherin des ÖVP-Klubs bestätigt gegenüber derStandard.at, dass Huainigg noch nicht aus dem Rennen sei: "Ob er in den Nationalrat kommt, hängt davon ab, ob wir an der Regierung beteiligt sein werden und wer dann in die Regierung geht." Er sei jedoch unabhängig von seinem Mandat nach wie vor Behindertensprecher der Partei.

"An Taten messen"

An der SPÖ kritisiert Ex-Politiker Srb, dass die Behindertensprecherin keine selbst Betroffene ist. "Die SPÖ würde ja niemals einen Mann als Frauensprecher aufstellen", ist der Sprecher erbost. Ebenso reagiert Christine Lapp auf diese Aussage: "Nur weil ich keinen Behindertenpass habe, heißt das ja nicht, dass ich mich nicht für sie einsetzen kann", so die Abgeordnete. Man solle ihre Fähigkeiten lieber an Taten messen, sagt sie in Richtung Bizeps.

Eigentlich sei der Tiroler Günther Pora für das Mandat des Behindertensprechers vorgesehen gewesen, der hat jedoch nicht genügend Stimmen für den Einzug in den Nationalrat bekommen. "An der Entscheidung der WählerInnen können wir nichts ändern", so Lapp.

Den Grünen ging es ähnlich. Als Behindertensprecherin wollte man die Obfrau des Gehörlosenbundes, Helene Jarmer, in den Nationalrat holen, diese erhielt jedoch auch zuwenig Stimmen. Haidlmayrs Bereich übernimmt deshalb Sozialsprecher Karl Öllinger. Er wolle trotzdem eng mit Jarmer kooperieren, heißt es.

"Ghettoausbildung"

SP-Behindertensprecherin Lapp wünscht sich eine Diskussion über Inhalte, nicht über Personen. Auch da hat die Behindertenbewegung einiges zu beklagen. Im Bericht des Sozialministeriums geben 32 Prozent der Befragten unter 20 Jahren an, aufgrund ihrer Behinderung Probleme in der Ausbildung zu haben. Srb erklärt sich das Ergebnis im schulischen Bereich dadurch, dass Lehrkräfte in den Integrationsklassen fehlen. "Und in der beruflichen Ausbildung fehlt die Durchlässigkeit." Zwar gebe es viele Initiativen, Srb warnt jedoch davor, dass diese zur "Ghettoausbildung" werden.

Ein weiterer Wunsch von Bizeps ist die Finanzierung der Persönlichen Assistenz. Zwar gibt es Förderungen im Rahmen des Pflegegeldes und unterschiedliche Regelungen in den Ländern, Srb will jedoch eine bundesweite Lösung. Auch beim Thema Arbeitsmarkt sei noch einiges zu tun. 2007 waren von den beim Arbeitsmarktservice gemeldeten Menschen 14,12 Prozent behindert.

Die Mängel am Gleichstellungsgesetz erklärt er an einem Beispiel: "Ein neu errichtetes Geschäft, dass keinen barrierefreien Zugang hat, kann geklagt werden. Dafür erhält der Kläger zwar eine finanzielle Entschädigung, der Geklagte muss am Gebäude jedoch nichts ändern." Behindertensprecherin Lapp stimmt Srb in diesem Punkt zu, dass etwas getan werden muss. "Deshalb haben wir uns für die nächste Regierungsperiode eine Evaluierung des Gleichstellungsgesetzes vorgenommen."

Platz für Behindertenpolitik

In ihrer Partei hat Lapp nicht das Gefühl, dass das Thema Behindertenpolitik keinen Platz hat. "Gemeinsam mit Huainigg haben wir ein Papier für die Verhandlungsgruppen erarbeitet. Aber wie Sie wissen, stocken die Verhandlungen zurzeit", berichtet die SP-Abgeordnete. Behindertenpolitik sei ihrer Meinung nicht nur für die Betroffenen selbst wichtig, sondern bringe für alle Bevölkerungsgruppen Positives: "Vom barrierefreien Zugang hat ja auch die Mutter mit dem Kinderwagen etwas."

Bizeps-Sprecher Srb bleibt dabei: "Im Vergleich zu anderen Ländern ist die Behindertenpolitik in Österreich unterrepräsentiert." Als positives Beispiel nennt er die USA. Dort hätten die Behinderten viel mehr Rechte und es gebe höhere Sanktionen für Unternehmen, die sich nicht an das Anti-Diskriminierungsgesetz halten: "Von denen können wir uns noch was abschauen."

Sozialminister Erwin Buchinger meinte bei der Präsentation des Entwurfs des Behindertenberichts: "Österreich ist von Behindertengleichstellung immer noch weit entfernt." Die Evaluierung des Berichts soll im Frühling 2009 abgeschlossen sein. (Elisabeth Oberndorfer/derStandard.at, 17. November 2008)