Wien - Stellen Sie sich einen Film vor, der mit dem fast symmetrischen Wortzeichen "Staatz" anfängt. Das ganze Bild füllend, weiß auf schwarz. Nach einem statischen Blick durchs Fenster ist eine nicht genau auszumachende Aktion im Dunkeln zu sehen. Körper, die fliehen? Tanzen? Sind die Körper nackt? Wird Gewalt ausgeübt - oder sind die verwischten Bewegungsspuren spielerisch?
Staatz Ende (1986/87) ist vielleicht der "längste" Film von Michael Pilz. Als unmittelbare Reaktion auf eine Todesnachricht zeigt der Film vier Minuten lang Trauer und Schock. Der Film ist als Reaktion auf den Freitod des Filmemachers Manfred Kaufmann entstanden. Und Staatz Ende ist ein idealer Einstieg in das Werk eines ganz großen österreichischen Filmschaffenden - fast eine Gebrauchsanweisung: Bis Ende dieses Monats wird er nun im Wiener Filmmuseum präsentiert.
Michael Pilz produziert seit mehr als 40 Jahren - seit mindestes 25 Jahren auch mit internationaler Resonanz - kontinuierlich Filme. Er ist ein radikal unabhängiger Visionär des Films. 1975 war er eines der Gründungsmitglieder des Syndikats der Filmschaffenden. Weiters war Pilz unter anderem initiativ in der Etablierung der österreichischen Filmtage, in der Gründung des Verleihs Filmladen und im Rahmen der "Kinooperative"-Aktivitäten, die 1980 zum ersten Filmförderungsgesetz geführt haben.
Sehr bald hat sich Pilz aus den "Groß"-Fördertöpfen herausgehalten und Strukturen aufgebaut, innerhalb derer er Filme produziert, die er für notwendig hält. Das heißt, dass Pilz ununterbrochen Filme macht, neues Material aufnimmt oder aus dem Fundus eigener Archivmaterialien zusammenstellt.
Privater Erzählstrom
Im Rahmen der Retrospektive im Filmmuseum ist nun die Uraufführung eines Films (19. 11.) zu erleben, der am 28. April 1995 aufgenommen wurde. In einer Interview-Einstellung erzählt die Autorin Brigitte Schwaiger von den Erfahrungen mit einer Liebe.
Nach wenigen Minuten kann sich der Zusehende diesem eindringlichen Erzählstrom nicht mehr entziehen. Was erzählt sie da, darf sie das? Ist das nicht viel zu privat, hat sie das erlebt oder spricht die Autorin einen fiktiven Text? Aus Liebe / For Love (2004/2008) ist Politkrimi, Melodrama und große Tragödie. In der Konzentration und Erschöpfung der Berichtenden wird auch ausgelotet, wie körperlich Film sein kann und sollte - also nicht nur den Sehsinn involvierend, sondern Herz und Hirn. Es ist zu spüren, wie Film das eigene Leben angreift, wie es möglich ist, bleibende Erfahrungen zu machen, durch Film vermittelt, aber doch unmittelbar, abzulegen im eigenen Speicher des emotionalen Erlebens.
Michael Pilz ist ein Dokumentarist des Sehens, und nicht in erster Linie (weder soziologisch noch geografisch) Dokumentarfilmemacher von Ländern und Situationen, sondern Filmzeuge dessen, was er sieht und erlebt. Er dokumentiert in seinen Reise-Tagebuch-Filmen (z. B. Yemen Travelogue, eine weitere Uraufführung der Retrospektive) seine Kommunikation mit Menschen. Unangestrengt und gänzlich unbevormundet können sich Zuschauer auf diese Reisen mitbegeben. Sie sollten ein flexibles Zeitgefühl mitbringen oder sich darauf einlassen können - und nicht auf Informationen hoffen, sondern auf Begegnungen und Entwicklungen in einer eher buddhistischen Gelassenheit.
Auf einen Zettel schreibt Michael Pilz zum Film Cage: "John Cage starb am 12. August 1992, eben als ich mit Sebastian Prantl, Cecilia Li (seiner Frau) und 14 internationalen Tänzern in St. Pölten ein vierwöchiges 'Symposium' machte, Tanz, Musik, Film: Othmar Schmiderer war damals als Tonmann dabei."
Immer geht es Pilz um andere Menschen, um Zusammenarbeit, Begegnungen, Entwicklungen. Cage ist dafür ein exemplarischer Film. In einer extrem offenen Form ergeben sich in einem Licht durchfluteten, leeren Raum nicht planbare Intensitäten zwischen den Agierenden. Unter anderem zur Musik: Haiku, 1 piece of sonata and interlude von John Cage. Unter vielen anderen vielleicht die wichtigste Künstlerarbeitsbeziehung: Pilz und Cage. (Birgit Flos/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 17. 11. 2008)