Graz - Ein Novembermorgen, grau, nicht kalt, aber nass. Am Jakomini-Platz stehen sich Leute am Weg zur Arbeit oder in die Schule gegenseitig bei den Straßenbahnhaltestellen im Weg. Das übliche Kommen und Gehen eines Wochentages. Herr G. sitzt auf dem feuchten Boden vor einer Diskontbäckerei und beobachtet mit dem Hut in der Hand die Menschen um ihn herum. Wenn sich jemand nähert, hebt er kurz seinen Hut. Er sitzt hier sehr oft, immer wieder seit zwei Jahren, erzählt der ältere Mann, der wie die meisten Bettler in Graz aus der Stadt Hostice in der Slowakei hierher kam. Wenn er in Graz übernachtet, dann im Vinzinest des Pfarrers Wolfgang Pucher. Ob die Leute in vergangener Zeit weniger geben als noch im Sommer, könne er dem Standard nicht wirklich beantworten. "Es ist so, die Leute geben immer wenig, sehr wenig, aber ich lebe davon", erzählt er müde lächelnd. Von der Finanzkrise habe er schon gehört, aber - er zuckt mit den Schultern - für ihn sei es "immer schwer gewesen".

Einige Gehminuten entfernt, in Nähe des Bischofsplatzes, sitzt ein junger Mann in einer ruhigen, unbefahrenen Gasse der Innenstadt. Er hat das Bild eines Babys vor sich in einem Hut am Asphalt liegen. Der 22-Jährige bettelt seit zwei Wochen in Graz. Ob es in den vergangenen Wochen schwerer geworden ist, Spenden von fremden Passanten zu bekommen, kann er also nicht sagen. Und wie es den Leuten geht, schon gar nicht, denn mit ihm "redet keiner", erklärt er in gebrochenem Deutsch.

In der Sporgasse hat ein anderer Bettler aus Hostice, wo mittlerweile vor Ort Grazer Projekte für die von Armut und Diskriminierung geplagten Roma laufen, seinen Stammplatz. Er spricht noch weniger Deutsch, aber versprüht einen ihm eigenen Optimismus. Graz sei einfach eine "schöne Stadt, sehr schön", lächelt er. Zu Hause seien alle krank, er brauche das Geld, das er hier kriegt. Und Punkt. (Colette M. Schmidt, DER STANDARD - Printausgabe, 15./16. November 2008)