Psychologe Thomas Oberlechner warnt vor zu viel Vertrauen in Experten.

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Wien - Der britische Anthropologe Richard Wrangham hat bei Studien über Schimpansen festgestellt, dass jene Männchen, die sich trauen, am weitesten von Baum zu Baum zu springen, in der Hierarchie am weitesten oben stehen. Der soziale Aufstieg und die damit verbundenen Vorteile tragen das Risiko des Absturzes mit sich.

Für den Wiener Finanzpsychologen Thomas Oberlechner ist diese Erkenntnis eine Metapher für jene psychosoziale Dynamik unter Finanzprofis, die viel zur Weltfinanzkrise beigetragen hat. "Hier war Overconfidence, Selbstüberschätzung, am Werk" sagt Oberlechner im Standard-Gespräch. "Wir kennen das aus anderen Bereichen. Studien in Schweden haben gezeigt, dass sich 90 Prozent aller Autofahrer für überdurchschnittlich gut halten. An der Wall Street wurden hunderte Händler in den Banken befragt, und die überwiegende Mehrheit ist überzeugt, dass sie den Markt besser voraussagen können als andere. Das führt zum Entstehen von Finanzblasen."

Ohne diese Selbstüberschätzung gebe es allerdings keinen Fortschritt; jeder Erfinder oder Unternehmensgründer müsse fest daran glauben, dass er Erfolg haben wird, obwohl objektive Erfahrungswerte dagegen sprechen. "Wenn zwei gleich starke Tiere miteinander auf Leben und Tod kämpfen, dann wird das Tier gewinnen, das von sich überzeugt ist und sich nicht mit Fluchtgedanken beschäftigt und dafür Ressourcen bindet", betont Oberlechner, der an der Webster University in Wien unterrichtet. Doch wenn dieses Selbstvertrauen angemessene Grenzen übersteigt, dann führe es zu irrationalem Verhalten.

Im Finanzmarkt kommt laut Oberlechner eine weitere Eigenschaft ins Spiel: "Finanzmärkte sind nicht nur ökonomische Erscheinungen, sondern auch soziale Wesen mit einer starken Tendenz zur Konformität. Die Gefühle und Interpretationen zu dem, was im Markt passiert, gleiche sich immer mehr an." Der Ökonom Robert Shiller etwa spricht von Informations- und Meinungskaskaden, die von einzelnen Nachrichten ausgelöst werden können. "Und in Krisenzeiten ist der Drang zur Konformität besonders stark", sagt Oberlechner. "Wenn Menschen emotionell verunsichert sind, dann schauen sie vor allem darauf, wie sich andere verhalten." Das erklärt, warum Finanzblasen noch schneller platzen als sie entstehen.

Oberlechner gehört zu jenem wachsenden Bereich der Finanz- und Wirtschaftspsychologie, die in den siebziger Jahren vom späteren Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahneman und Amos Tversky begründet wurde und irrationale Verhaltensmuster beim Umgang mit Geld und Vermögenswerten studiert. Eines davon ist die Heuristik, die Tendenz zu vereinfachten Daumenregeln, nach denen man auf Grundlage unvollständiger Informationen Entscheidungen trifft.

Besser sei es daher oft, aktuelle Finanznachrichten auszublenden und sich auf Grundlegendes zu konzentrieren, meint Oberlechner, denn "bei Informationskaskaden neigt man zum Überreagieren".

Problematisch sei auch zu viel Vertrauen in Experten, warnt der Psychologe. Diese hätten "eher eine soziale Funktion als eine inhaltliche." Experten müssten stets präzise Meinungen entwickeln, doch vieles im Finanzmarkt lasse sich nicht voraussagen. Oberlechners Technik für Wechselkursprognosen steht hingegen auch Laien offen: "Wer voraussagt, dass der Dollar in einem Jahr genau so viel kostet wie heute, der schneidet langfristig besser ab als alle Experten." (Eric Frey/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 15./16. 11. 2008)