EU-Experte Rouhana glaubt an den Öko-Trend in der IT-Branche. Die Forschung müsse Konzepte für eine nachhaltige Energiereduktion schaffen.

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STANDARD: Europa scheint in den vergangenen Jahren bei der IT- und Telekommunikationsforschung gegenüber seinen globalen Konkurrenten an Boden verloren zu haben. Was sind hier die Hintergründe?

Rouhana: Nach dem Platzen der New Economy 2000 ist Stillstand eingetreten. Jeder hat geglaubt: Das war es jetzt. Die Folgen sind noch zu spüren, die aus Verunsicherung von Investoren oder Politik entstanden sind. Seit 2005 hat sich die Situation wieder verändert, es sind neue Märkte für neue Produkte und Services entstanden, die Technik hat sich ebenfalls verbessert. All dies begünstigt mehr Forschung, um neue Gelegenheiten ergreifen zu können.

STANDARD: Fünf Jahre Stagnation sind trotzdem eine relativ lange Zeit. Lässt sich das Defizit in der Realität so leicht aufholen?

Rouhana: Natürlich besteht ein Rückstand beispielsweise gegenüber den USA. Hier anzuschließen, ist keine leichte Aufgabe, aber wie gesagt erleben wir heute eine andere Situation. Trotzdem reichen die Gelder für die IT- und Telekommunikationsforschung nicht aus, weder von privater noch von staatlicher Seite. Wir investieren einfach weniger als unsere Hauptkonkurrenten, obwohl Europa sich als großer Markt etabliert hat.

STANDARD: Was können nachhaltige Veränderungen in die Wege leiten?

Rouhana: Eine höhere Effizienz bei der Koordination für Forschung zwischen den Ländern. Sicher kümmert sich jeder um seine eigene Industrie, seine eigene Forschung, aber es geht um Partnerschaften in der Zukunft. Manche halten das für unrealistisch, diese Meinung teile ich nicht. Im Fall der mobilen Kommunikation und der Schaffung technischer Standards hat sich gezeigt, was möglich ist. Das war ein massiver Schub für Hersteller und Forschung.

STANDARD: Bei der Mobilität wurde der Trend rechtzeitig erkannt, aber wie sieht es sonst aus? Ortet man Strömungen rechtzeitig?

Rouhana: Die Anwender reagieren rasch, so wie bei Web 2.0. Das Problem ist jedoch mangelndes Bewusstsein hinsichtlich der Tatsache, dass Entwicklungen im Bereich IT und Telekommunikation andere wichtige Sektoren der Wirtschaft wie Gesundheitsvorsorge, Auto- oder Flugzeugindustrie positiv beeinflussen können. Da müssen die Verantwortlichen viel rascher reagieren, das Potenzial aufzeigen und auch Forschungsfinanzierung bereitstellen, damit mehr neue Märkte entstehen können.

STANDARD: Mangelt es da nicht ebenso an koordinierten Strategien?

Rouhana: Ja, speziell im öffentlichen Bereich. Wenn in einem Staat das Gesundheitsministerium ein neues Konzept auf die Beine stellt, wird selten mit jenem Ministerium gesprochen, für die Technik und Innovationen Themen sind. Umgekehrt reden dort die Verantwortlichen nicht mit dem Transportministerium, wenn es etwa um Ideen in Richtung E-Logistik geht. Das mindert die Effizienz. Aber auch am Firmensektor würde mehr Vernetzung Chancen eröffnen.

STANDARD: Was werden die Schwerpunkte der Europäischen Union in Zukunft sein, wo wird es mehr finanziellen Einsatz geben?

Rouhana: Ein Schwerpunkt ist das Internet der Zukunft. Hier steht das im Mittelpunkt, was wir "Internet der Dienste" nennen. Wer heute einen Flug braucht, sucht erst nach Information, kommt zu einer Homepage, bucht und bezahlt. Hier ist eine Menge an Datenbeschaffung erforderlich und vieles wird erst gar nicht sichtbar. Wesentlich wäre, dass man auf einen Klick die besten Angebote, Preise, Hotels und die aktuelle Verfügbarkeit erhält. Das würde einträgliche Geschäftsfelder bringen. Dadurch könnte man Dienste flexibler als bisher über das Internet anbieten. Man könnte mit solchen Diensten handeln und sie zu neuartigen Geschäftsideen zusammensetzen. Da signalisiert etwa Google Earth, wohin der Weg in Zukunft führen könnte.

STANDARD: Wie ist die Situation bei Pervasive Computing, der Integration von Rechnern in Alltagsgegenständen? Hier möchte die EU angeblich ebenfalls verstärkt Mittel zur Verfügung stellen.

Rouhana: Das Internet der Dinge als Erweiterung zum Zugang über den Computer oder das Handy ist tatsächlich ein Thema. Wir sehen ja bei RFID (Radio Frequency Identification), dass berührungslose, in Gegenstände eingebaute Technik auch in der Wirtschaft Aufmerksamkeit erzielt, was Logistik und Warenketten betrifft. Das ist trotzdem erst der Anfang.

STANDARD: Aber RFID kommt bei den Firmen nicht sonderlich gut an.

Rouhana: Richtig, es gibt technische Probleme und heikle Fragen, was den Datenschutz betrifft. Hier warten doch noch einige Herausforderungen. Dennoch müssen wir weiter intensiv forschen, weil es innovative Ansätze gibt wie Rechner, die im Haus in Alltagsobjekte integriert sind und von dort die Heizung überwachen oder den Energieverbrauch regeln.

STANDARD: Was zu Green IT führt, dem neuen Umweltbewusstsein in der Elektronikbranche. Spielt das eine wesentliche Rolle für die EU, wenn es um Forschungsgelder geht?

Rouhana: Ganz sicher. Hier geht es nicht nur um Umweltbewusstsein seitens der IT, sondern auch um Technologie, die die Ökologie unterstützt. Es gibt ganz wichtige Entwicklungen auf dem Gebiet von energiesparenden elektronischen Komponenten und Systemen. Viel Potenzial ist auch noch dank intelligenter Software vorhanden.

STANDARD: Aber ist die neue IT-Öko-Bewegung nicht bloß ein Hype?

Rouhana: Das sehe ich nicht so, auch wenn es stimmt, dass jetzt alle auf diesen Zug aufspringen. Es geht ja auch nicht darum, Marketingbemühungen zu fördern, sondern unter anderem den Energieverbrauch zu drosseln. Hier kann Forschung ansetzen, die Anwendungen oder Konzepte schafft, um nachhaltige Reduktion zu erzielen. Es ist auch vorstellbar, mit solchen neuen Technologien den Lichtverbrauch stark senken zu können oder energieeffiziente Gebäude zu entwerfen. Ein anderes Beispiel: Mit Videokonferenzen lässt sich Aufkommen betreffend Flugreisen stark senken. Manager bleiben im Büro und entlasten so unsere Umwelt. (Christian Prenger/DER STANDARD, Printausgabe, 12.11.2008)