Verfolgen unterschiedliche künstlerische Wege für ein gemeinsames Anliegen: zeitgenössische Musik, nicht nur die von Frauen, sichtbarer zu machen: Veronika Mayer, Judit Varga und Ana Szilágyi (v. li.).

 

 

Foto: STANDARD Cremer

Wien - "Warum giebt es so wenige Componistinnen?" Diese Frage wurde, die Rechtschreibung lässt es erahnen, schon vor beträchtlicher Zeit formuliert: in einem Vortrag beim Allgemeinen Deutschen Frauenverein in Frankfurt am Main - 1898. Aber abgesehen von der Schreibweise: Könnte sie nicht auch nach mehr als 100 Jahren noch immer fast genauso lauten?

Vom klassischen Musikbetrieb einmal zu schweigen, scheinen sich traditionelle Strukturen nur im Schneckentempo zu verändern. So sind manche Kompositionsklassen immer noch erschreckend männerlastig, woanders unterrichten aber auch Professorinnen Komposition. Sieht man sich genauer um, tauchen sie denn auch auf, die Komponistinnen mit dem individuellen künstlerischen Profil.

Dass der Verein "Platypus" , der bereits zweimal in kleinerem Rahmen eine ähnliche Veranstaltung organisiert hat, nun beim Neue-Musik-Festival Wien Modern einen "KomponistInnen-Marathon" programmiert, war somit für den Standard Grund genug, das Binnen-I einmal anders als üblich zu ignorieren und drei Komponistinnen zum Gespräch zu bitten.

Das Geschlecht wird nolens volens auch hier gleich einmal zum Thema, und wenn es auch nur der augenzwinkernde Hinweis ist, dass bei der Veranstaltung, die an drei Abenden im WUK mehr als 30 Uraufführungen bringen wird, schon auch Männer dabei sind.

Aber wenn es um die äußeren Zeichen des Erfolgs geht, wird das Gespräch wieder ernster. So erzählt die Ungarin Judit Varga, dass sie gerade das Finale eines großen Kompositionswettbewerbs erreicht habe - als einzige Frau.

Überwindung der Schwerkraft

Für die Bukarester Komponistin Ana Szilágyi stellt sich die Sache etwas anders dar: "In Rumänien gibt es viele Komponistinnen, neben Violeta Dinescu noch 20, die berühmt sind. Das macht es für die Jungen schwer, sich zu etablieren." Die Wienerin Veronika Mayer meint allerdings, dass das Problem woanders liege: "Nicht dass man Komponistin ist, muss man erklären, sondern, was es heißt, dass man überhaupt komponiert."

Ein gutes Stichwort, um über die Arbeit der Künstlerinnen selbst zu reden, die zwar alle in Wien studiert haben oder noch studieren, aber ansonsten die unterschiedlichsten Backgrounds haben.

So arbeitet Veronika Mayer in verschiedenen Improvisationsensembles, mit Klanginstallationen oder Live-Elektronik. Jetzt hat sie sich aber für ihre Komposition Einmal, Immer ganz auf Stimmen und Instrumente beschränkt.

Das Stück basiert auf Fragmenten aus drei Gedichten von Paul Celan, ist aber keine Vertonung, wie die Komponistin betont: "Ich wollte die Gedichte zwar zuerst vertonen. Dann wollte ich aber gerade die Abwesenheit von Worten zeigen; Celans Wort ,sprachfern‘ hat mich da ungeheuer fasziniert. Es gibt daher auch fast keinen Gesang, sondern mehr gepresste Stimme und Atem, der kaum hörbar ist."

Einen ähnlich weiträumigen Transformationsprozess hat auch Ana Szilágyi in ihrem Stück Flüge in Angriff genommen, einer elektronischen Komposition, für die die Klänge zweier rumänischer Flöten aufgenommen wurde, die sie im Kaffeehaus liebevoll herzeigt: "Eine Skulptur von Constantin Brâncuºi hat mich dazu inspiriert, die Aufhebung der Schwerkraft zu thematisieren. Daher habe ich nicht die Grundtöne der Flöten, sondern nur Obertöne verwendet."

Szilágyi, die ihren Kompositionen zuweilen auch eine Video-Ebene beifügt, liebt indessen nicht nur die Bildhaftigkeit, sondern auch die Reflexion: Ihre Dissertation verfasst sie gerade im Fach Musiktheorie.

Vor einem ganz praktischen Problem ist Judit Varga gestanden, als sie sich entschloss, gemeinsam mit Samu Gryllus ein Stück zu schreiben, zumal der Landsmann der Ungarin derzeit in den USA lebt. Die beiden machten aber für ihre Komposition <>, >< and ... are travelling on the train aus der Not eine Tugend, indem sie den räumlichen Abstand oder besser die Überwindung der geografischen Distanz zum Thema ihrer Komposition machten: "Wir haben zuerst einen Rahmen gebraucht und haben daher einen Plan geschaffen, der der Reiseroute des Orient-Express entspricht. Aber eine Reise kann ja auch mental sein."

Wohin die "Reise" des Uraufführungsmarathons insgesamt führt, ist indes noch völlig offen. Denn eine solche Menge an neuen Kompositionen müsse erst gefiltert werden, wie Varga meint. Aber dass dies alles zur Diskussion gestellt werde - "das ist doch etwas sehr Demokratisches!" (Daniel Ender / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 11.11.2008)