Werner Zinkl, Chef der Richtervereinigung: "Derzeit ist eine ordnungsgemäße und zügige Abwicklung des Aktenanfalles nicht mehr möglich."

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166 Minuten stehen dem durschnittlichen Zivilakt beim Bezirksgericht zu. So will es zumindest die Statistik. Wenn jeder Richter aber eben diese 166 Minuten pro Akt benötigt, ergibt sich "eine Überbelastung von 110, oft sogar mehr Prozent", so der Vorsitzende der Richtervereinigung Werner Zinkl im Gespräch mit derStandard.at. Und zwar nicht nur an den Bezirksgerichten, sondern auch auf allen anderen Ebenen der Gerichtsbarkeit.

"Nicht mehr möglich"

Diese Überlastung führt zu einer - oft deutlichen - Verzögerung von Verfahren. Im Mai soll die neue "Personalanforderungsrechnung", die momentan von Deloitte erhoben wird, Klarheit darüber bringen, wieviele Richter und Gerichtshelfer Österreich benötigt. Schon früher hätten rund 150 Richterplanstellen gefehlt, mit der Vorverfahrensreform habe sich die Situation weiter verschärft, meint Zinkl. Scharf kritisiert wird auch der "Kahlschlag" beim Kanzleipersonal: "Derzeit ist eine ordnungsgemäße und zügige Abwicklung des Aktenanfalles nicht mehr möglich."

Die Überlastung ist aber nur eine der Sorgen der Richtervertreter. In einem Positionspapier gaben diese ihre Wünsche an die nächste Regierung bekannt. Man sorge sich auch um die Unabhängigkeit der Justiz, so Zinkl. Diese sei zwar in der Verfassung garantiert, es gebe aber immer wieder Versuche der Politik, die unabhängige Justiz zu vereinnahmen. Die institutionelle Unabhängigkeit sei im europäischen Vergleich "deutlich unterentwickelt", wird im Forderungspapier konstatiert. Auch zu niedrige Gehälter seien eine Gefahr für die Unabhängigkeit. "Das Richteramt muss so gut bezahlt sein, dass gar kein Gedanke an Korruption entstehen kann." Zur Stärkung der Unabhängigkeit soll ein "Rat der Gerichtsbarkeit" dienen.

Raub und Kindesmissbrauch

Kritik übt Zinkl an der immer wiederkehrenden Aufrechnung von einzelnen Delikten. "Wenn ich etwa frage, ob ein ausgeschlagener Zahn oder der Diebstahl von 3000 Euro 'schlimmer' ist - da kann nichts vernünftiges dabei rauskommen". Zwar sei es an der Zeit, generell die Verhältnismäßigkeit von Strafen vor allem zwischen Sittlichkeits-, Vermögens- und Verletzungsdelikten "umfassend zu untersuchen", aber dafür seien Vergleiche zwischen den ganzen Deliktsgruppen nötig. "Es ist nicht gut, wenn man einen Raub mit einem Kindesmissbrauch vergleicht", so Zinkl.

Was Alternativen zum Strafvollzug, etwa die Elektronische Fußfessel, angeht, gibt sich Zinkl prinzipiell offen, aber auch kritisch. "Ich bin immer froh, wenn man etwas macht, damit man einen Menschen mehr nicht einsperren muss". Allerdings sei dazu auch eine entsprechende Überwachung nötig, "man kann die Leute dann nicht einfach herumlaufen lassen, ohne sie zu kontrollieren". Für diese Überwachung habe man aber mit dem aktuellen Personalstand nicht genug Ressourcen.

Die Richter wünschen sich auch bessere Strukturen für die Jugendgerichtsbarkeit vor allem in Wien. Wie genau das aussehen soll, darüber ließe sich verhandeln, so Zinkl. "Es muss nicht unbedingt ein Jugendgerichtshof sein". (az, derStandard.at, 10.11.2008)