Länder- und kontinentübergreifend befällt Diabetes vor allem die Menschen in den westlichen Industrienationen, die Ursachen: zu wenig Bewegung, Übergewicht hervorgerufen durch Fastfood und viele andere Ernährungssünden.

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Hauptursache: die westliche Überflussgesellschaft. Neue Medikamente sollen Blutzucker besser regulierbar machen.

Rund 14.000 Mediziner werden einander im kommenden Herbst in Wien treffen, um beim weltgrößten Diabetes-Kongress der European Association for the Study of Diabetes (EASD) darüber zu fachsimpeln, wie man die Zuckerkrankheit eindämmen kann. Denn Diabetes ist längst das, was Experten als Pandemie, also als Volkskrankheit, bezeichnen. Länder- und kontinentübergreifend befällt sie vor allem die Menschen in den westlichen Industrienationen.

Das Problem wurde bereits im September in Rom von der EASD in aller Ausführlichkeit erörtert. Doch die Chancen, effektive Wege zu finden, stehen dabei denkbar schlecht. Denn obwohl weltweit Wissenschafter viel Zeit und Hirnschmalz und Pharmafirmen viele Millionen investieren, steigt die Zahl der Erkrankungen in der westlichen Welt jährlich um fünf Prozent an. In asiatischen Ländern wie etwa China, einem Land, in dem die Industrialisierung und damit der westliche Lebensstil gerade Einzug hält, ist es noch schlimmer. Dort sind jährliche Zuwachsraten von 30 (!) Prozent keine Seltenheit.

Kommt nie allein
Die Ursachen sind längst klar: zu wenig Bewegung, Übergewicht hervorgerufen durch Fastfood und viele andere Ernährungssünden.

Doch was tun gegen den "honigsüßen Durchfluss", so die wörtliche Übersetzung von Diabetes mellitus aus dem Griechischen. Vor allem: Diabetes tut zunächst ja nicht einmal weh und wird deshalb oft einfach ignoriert. Bernhard Ludvik, Internist am AKH und Präsident der österreichischen Diabetesgesellschaft (ÖDG), warnt: "Diabetes mellitus Typ 2 stellt eine der führenden Ursachen für Herzinfarkt, Schlaganfall, Nierenversagen und Erblindung dar", diese Komplikationen, so Ludvik, könnten aber bei rechtzeitiger Diagnose und konsequenter Behandlung vermieden werden, "denn das Besondere an dieser Erkrankung ist die Tatsache, dass die Erhöhung des Blutzuckers zumeist gemeinsam mit hohem Blutdruck und Fettstoffwechselstörungen einhergeht." Für Betroffene bedeutet es, dass nicht nur Diabetes, sondern auch die anderen Erkrankungen gesondert behandelt werden müssen, und das stellt sowohl den Arzt als auch die Patienten vor komplexe Herausforderungen. Compli-ance, also die konsequente Einnahme von Medikamenten und das Einhalten der ärztlichen Empfehlungen, sind der Knackpunkt für jeden Therapieerfolg. Ludvik: "Es sind komplexe Mechanismen, und nicht zuletzt sind die Nebenwirkungen von Medikamenten ein Problem."

Neue Medikamente
In letzter Zeit sind von pharmakologischer Seite in Sachen Diabetes einige große Würfe gelungen, zum Beispiel Sensitizer, eine Medikamentenklasse, die dafür verantwortlich ist, dass das körpereigene Insulin besser wirkt. Typ-2-Diabetiker müssen damit länger kein Insulin spritzen und kommen mit oralen Medikamenten aus. Ebenfalls neu sind Gliptine: Das sind Substanzen, die das körpereigene Hormon, das Glucagon-like-peptide-1 (GLP-1), beeinflussen bzw. imitieren. Dieses Hormon wird nach Zufuhr von Kohlenhydraten aus dem Darm ausgeschüttet und regt die Freisetzung von Insulin an. Zusätzlich kommt es zu einer Unterdrückung der Zuckerproduktion in der Leber, einer Verlangsamung der Magenentleerung und zum Auftreten eines Sättigungsgefühls.

Es gibt Hinweise, dass die Ausschüttung von GLP-1 bei Diabetikern gestört ist. Dieses Hormon kann man in dieser Form nicht zuführen, da es rasch abgebaut wird. Die Medikamente Sitagliptin (Januvia) und Vildagliptin (Galvus) hemmen den Abbau von GLP-1 und erhöhen somit die körpereigenen Spiegel. Neben einer Verbesserung des Blutzuckerspiegels sind als Vorteile das fehlende Auftreten von Hypoglykämien (Unterzuckerung) und die Gewichtsneutralität (kein Dickmacher) zu nennen. Diese Medikamente werden in der Regel in Kombination mit Metformin verabreicht, es gibt sie auch bereits als Kombinationspräparate (Janumet und Eukreas).

Mit Exenatide (Byetta) steht eine künstliche Form von GLP-1 zur Verfügung, welche nicht abgebaut wird. Allerdings muss man diese Substanz derzeit zweimal täglich, bald nur noch einmal wöchentlich unter die Haut injizieren. Die Wirksamkeit auf den Blutzucker ist etwas stärker als bei den anderen Gliptinen, es wurde auch eine Verminderung des Körpergewichts verzeichnet. Vor allem anfangs kann es zum Auftreten von Übelkeit kommen, in seltenen Fällen wurde eine Bauchspeicheldrüsenentzündung beobachtet.

Insulinpumpen
Auch im Bereich der insulinpflichtigen Diabetiker gibt es Neuigkeiten. Neben gentechnisch hergestellten Insulinen sind es vor allem die technischen Hilfsmittel, bei denen der Fortschritt in der Entwicklung als rasant zu bezeichnen ist. Einweg- und Mehrfach-Pens sind derzeit der Standard, der Trend geht allerdings ganz eindeutig zu modernen Insulinpumpen. Was das ist? Ein iPod großes Gerät, das mit dünnen Schlauch an einem Katheter in der Bauchdecke verbunden ist und die Funktion der Bauchspeicheldrüse quasi simuliert. Das heißt: Insulin wird in mikroskopisch kleinen Dosen über den Tag verteilt abgegeben und kann zu den Mahlzeiten erforderliche Insulinmengen abgeben. "Diese Geräte sind heute sehr klein und einfach zu bedienen. In Kombination mit permanenter Blutzuckermessung können mit ihnen extrem naturnahe Blutzucker-Einstellungen erreicht werden", sagt Simon Schwaighofer von der Herstellerfirma Medtronic. Der Haken: Sowohl die permanente Messung als auch die Pumpe benötigen je einen kleinen Katheter, der permanent getragen, aber nur noch alle drei Tage gewechselt werden muss. In Zukunft sollen Messung und Insulinabgabe gekoppelt werden.

"Alles nützlich", meint die Erfinderin der Funktionellen Insulintherapie, die Diabetologin Kinga Howorka, "aber sie helfen wenig, wenn Patienten nicht geschult sind. Laien brauchen verständliche Erklärungen für das, was in ihrem Körper abläuft." Was Howorka daher anbietet, ist "therapeutische Patientenschulung", in der sie individuell herausfindet, was der Erkrankte will und was er braucht. Doch solche Unterrichtsstunden werden von den Krankenkassen allerdings nicht bezahlt. (Peter P. Hopfinger; DER STANDARD, Print-Ausgabe, 10.11.2008)