Warum vergöttern die Europäer Amerikas neu gewählten Präsidenten Barack Obama? Dumme Frage, könnte man meinen. Er ist jung, gut aussehend, smart, inspirierend, gebildet, kosmopolitisch und verspricht vor allem eine radikale Abkehr von der Politik der unbeliebtesten US- Regierung aller Zeiten. - Und doch erscheint diese europäische Besessenheit in Bezug auf einen schwarzen US-Politiker etwas merkwürdig, wo wir doch alle wissen, dass ein schwarzer Präsident (noch dazu einer, dessen zweiter Vorname Hussein ist) in Europa noch immer undenkbar ist. Aber vielleicht ist genau dies der Punkt.

Die Europäer haben schwarze US-Stars immer schon gastfreundlich aufgenommen. Man denke an Josephine Baker, die Pariser und Berliner zu einer Zeit begeisterte, als Schwarze in vielen Teilen der USA noch nicht einmal dieselben Toiletten wie Weiße benutzen durften. Städte wie Paris, Kopenhagen und Amsterdam boten schwarzen Jazzmusikern und anderen Künstlern, die eine Auszeit vom institutionalisierten US-Rassismus suchten, Zuflucht.

Hoffnung und Nostalgie

Da es damals kaum Schwarze in Europa gab, war die Vergötterung der "black Stars" unproblematisch. Sie verhalf den Europäern dazu, sich gegenüber den Amerikanern überlegen zu fühlen. Als nach 1960 Menschen aus nichtwestlichen Ländern in großer Zahl nach Europa strömten, erwies sich dies zwar als Illusion. Doch sie war schön, so lange sie währte - insofern könnte die "Obamania" also nicht nur ein Moment der Hoffnung, sondern auch der Nostalgie enthalten.

Dazu kommt: Obama sieht wie ein Weltbürger aus. Sein kenianischer Vater verhilft ihm zu jener Art von Glanz, die einst mit den Freiheitsbewegungen der Dritten Welt verbunden wurden. Nelson Mandela hat diesen Glanz verkörpert. Und ein bisschen davon hat auch auf Obama abgefärbt.

Der Hauptgrund für die "Obamania" dürfte freilich komplexerer Art sein. Es hat sich bei europäischen Kommentatoren in vergangener Zeit eingebürgert, die USA als Großmacht und Vorbild abzuschreiben. Viele liberal denkende Menschen äußerten sich angesichts der düsteren Bush-Jahre desillusioniert. Sie waren damit aufgewachsen, Amerika als eine Nation zu sehen, zu der man aufschaut - als ein Symbol der Hoffnung, einen Ort, der nicht perfekt war, aber doch zu Träumen von einer besseren Zukunft inspirierte und großartige Spielfilme, Wolkenkratzer, Rock 'n' Roll, John F. Kennedy und Martin Luther King hervorbrachte. Dieses Bild war nun hoffnungslos mit dem Makel des plumpen Chauvinismus, unverantwortlicher Kriege und politischer Arroganz behaftet. Bei anderen äußerte sich diese Desillusionierung in einer Pose hämischer Schadenfreude.

Endlich war jene große, in verhängnisvoller Weise verführerische Nation, die die Alte Welt so lange in den Schatten gestellt hatte, in die Knie gezwungen worden. Eine multipolare Welt, dachten viele, wäre einem Fortdauern der Pax Americana vorzuziehen.

Doch derartige Projektionen konnten ein gewisses Gefühl des Unbehagens nie ganz verbergen: Wie viele Europäer wären wirklich glücklicher unter der überlegenen Macht Chinas oder Russlands? Hinter aller selbstbewusst klingenden Ablehnung verbirgt sich noch immer ein gewisses Maß an Sehnsucht nach jener beruhigenderen Zeit, als die demokratische Welt sich kollektiv an Uncle Sams starken Schultern anlehnen konnte.

Auch dies dürfte eine Illusion sein. Zu viel hat sich seit Marshallplan und Berliner Luftbrücke geändert. Doch glaube ich nicht, dass der amerikanische Traum in Europa schon gänzlich darniederliegt. Die "Obamania" scheint ihn neu belebt zu haben. Obamas Wahl zeigt, dass in den USA noch immer Dinge möglich sind, die andernorts undenkbar sind. Und solange das so ist, können wir nach wie vor zu den USA als Primus inter Pares aufsehen - und sind wohl auch primär deshalb über Obamas Wahl derart aus dem Häuschen. (DER STANDARD, Printausgabe, 8.11.2008)