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Web 2.0 führte Barack Obama zum Sieg.

AP Photo/Pat Roque

1960 betrat in den USA das Fernsehen die politische Bühne, die es seither in Wahlkämpfen dominierte. Die TV-Debatte zwischen John F. Kennedy und dem "schwitzenden" Richard M. Nixon wird gern als wahlentscheidend bezeichnet, ihre Lektion wird von Politikern und ihren Spindoktoren bis heute beherzigt. Wolfgang Schüssel attestierte beim Fernsehduell 2006 seinem Widersacher Alfred Gusenbauer Schweiß auf der Oberlippe (was nichts am Ergebnis änderte). Bei den Debatten zwischen John McCain und Barack Obama blies eine Klimaanlage über den Sitzen der Kandidaten kalte Luft herunter, damit der Weg ins Weiße Haus nicht an einem Schweißfleck scheitern möge.

Online-Fundraising

TV war zwar auch im US-Wahljahr 2008 ein Schlüsselmedium, wie zuletzt ein 30-minütiger Obama-Werbefilm eindrucksvoll belegte. Aber es musste sich erstmals den Platz im Rampenlicht mit Online-Medien teilen. Das Geld, mit dem die Obama- Wahlkampfmaschine unter anderem diese 30-Minuten-Werbung finanzierte, konnte nur mit Online-Fundraising aufgebracht werden, das den teuersten US-Präsidentschaftswahlkampf aller Zeiten ermöglichte.

Viele der Medien, die mehr Menschen als je zuvor mobilisierten, gab es 2004 noch gar nicht. YouTube machte die Kandidaten erst richtig bekannt, die ersten "Fernsehdebatten" fanden hier statt, Hillary Clinton gab ihre Kandidatur zuerst online per Video bekannt. Noch in der letzten Wahlkampfwoche stellte das Obama-Lager 70 Videospots online, speziell auf "Battleground-States" abgestimmt. Die McCain-Leute wollten die Schlappe aus der "richtigen" TV-Debatte mit dem getürkten "Joe the Plumber" wettmachen und forderten ihre Anhänger auf, weitere "Joe the Plumber"-Geschichten als Videos einzuschicken.

SMS

Twitter, über das SMS-artige Nachrichten verschickt werden, wurde von beiden Lagern dazu verwendet, zigtausende Freiwillige anzuspornen. Die scheinbar überraschend "erfundene" Sarah Palin wurde von konservativen Bloggern schon seit zwei Jahren hochgeschrieben. Obama animierte noch in den letzten Wochen tausende Freiwillige mit einem iPhone-Programm dazu, Freunde und Bekannte in Wechselwählerstaaten anzurufen. 2,3 Millionen Unterstützer zählte die Obama-Campaign auf Facebook.

Online-Medien eröffnen nicht nur neue Kanäle für Wahlkampfstrategen, um ihre Botschaften möglichst zielgruppengenau anzubringen. Sie können auch dank abertausender Menschen, die sich als "Citizen Reporter" zu Enthüllungsstorys berufen fühlen, für kräftigen Gegenwind sorgen. Das musste Obama erfahren, als er von den frustrierten Wählern sprach, die sich an "Religion und Waffen klammern": Die Episode wurde vom Blog Huffington Post berichtet und entfachte eine lange Debatte über die vermeintliche Überheblichkeit des Kandidaten.

Erstwähler

Möglicherweise war es die geringere Online-Affinität, die McCain die Wahl kostete. Denn es waren vor allem auch die jüngeren Web-2.0-geübten Wählerschichten, die Obama ins Ziel trugen: Drei Viertel der Erstwähler stimmten für den Senator aus Illinois. Diese Lektion aus dem Jahr 2008 werden sich Wahlstrategen gut merken. (Helmut Spudich, DER STANDARD/Printausgabe, 6.11.2008)