Österreich ist zweifellos ein Nutznießer, aber auch eine Lokomotive des Wirtschaftsaufschwunges in der postkommunistischen Welt gewesen. Die Warenexporte nach Osteuropa haben sich seit 1989 auf 24 Milliarden Euro verachtfacht. Die österreichischen Direktinvestitionen machen rund ein Drittel der gesamten Auslandsinvestitionen in Bulgarien, Kroatien, Slowenien, knapp 15 Prozent in der Slowakei und Rumänien und mehr als elf Prozent in Serbien, Tschechien und Ungarn aus. Sprecher einiger österreichischen Banken gingen noch Anfang des Jahres davon aus, dass Osteuropa heuer um sechs Prozent und damit mehr als doppelt so stark wie die "alten" EU-Länder wachsen wird.

Angesichts der Erfolgsgeschichte Osteuropas mussten sich Regierungen und Unternehmer, wie es der Londoner Economist kürzlich ironisch formulierte, in den vergangenen Jahren nur "zurücklehnen und das Wetter genießen: niedrige Kreditzinsen, hohe Auslandsinvestitionen, steigende Steuereinnahmen und ein wachsender Lebensstandard". Noch zu Anfang dieses Jahres meinte der Chef des Wirtschaftsforschungsinstitutes: "Das starke Ost-Engagement macht Österreichs Wirtschaft weniger krisenanfällig." Frischgebackene Ost-Gurus in der Finanzwirtschaft sagten mit geradezu rührender Naivität und ohne Differenzierung für die kommenden Jahre glänzende Geschäftsaussichten voraus. Als manche Beobachter, auch ich, vor der wuchernden Korruption, vor den Gefahren eines auf Pump gebauten Scheinaufschwunges und nicht zuletzt vor den nationalen und sozialen Spannungen gewarnt haben, wiesen blauäugige Profiteure des Ost-Booms solche Warnungen postwendend als ungerechtfertigte Hiobsbotschaften der "Nörgler" zurück.

Die massiven Kursverluste, auch auf den Ostbörsen seit Jahresbeginn, reichen von 46 Prozent in Polen und Tschechien bis 71 Prozent in Rumänien und 78 Prozent in der Ukraine. Ungarn und die Ukraine konnten einstweilen von einem drohenden Staatsbankrott durch massive Kapitalhilfe des Währungsfonds, der EU und der Weltbank gerettet werden. Doch beträgt die der Ukraine gewährte Hilfe nur ein Fünftel jener Summe, die das Land in den nächsten Jahren für Schuldendienst benötigt. Wegen ihrer hohen Leistungsbilanzdefizite sind auch Bulgarien, Rumänien und die baltischen Staaten sehr gefährdet. Viel Geld fließt dieser Tage aus diesen Ländern ab, und man befürchtet ein Versiegen zukünftiger Investitionsströme.

Die größten Gefahren sind aber nicht finanzieller, sondern politischer Natur. Die meisten Transformationsstaaten taumeln nicht nur finanziell, sondern auch politisch. Eine Rosskur ist notwendig, um das Vertrauen der ausländischen Banken und Investoren wiederzugewinnen. In der Ukraine, in Polen und Rumänien bekriegen sich aber die Staatschefs und die Ministerpräsidenten. In Ungarn lehnt die größte Oppositionspartei jede Zusammenarbeit mit der verhassten Gyurcsány-Regierung ab. In Bulgarien und Kroatien werden durch blutige Attentate alte Rechnungen zwischen mafiösen politischen Netzwerken beglichen. Man soll freilich auf das Osteuropageschäft nicht verzichten, aber die Nebenwirkungen der globalen Finanzkrise sind derzeit unabsehbar. (Paul Lendvai, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 06.11.2008)