Bonn - Ein altes Rätsel: Der Erdmantel - die fast 3.000 Kilometer dicke mittlere Schicht im Aufbau der Erde - enthält weniger Blei, als man aufgrund der restlichen Zusammensetzung erwarten würde. Bisher wurde diese Diskrepanz mit der Bildung des Erdkerns erklärt: Dabei seien vor Milliarden Jahren große Mengen Blei aus dem Erdmantel in den metallischen Kern abgewandert. Experimente von Wissenschaftern der Universitäten Bonn und Münster und des Max-Planck-Institutes für Chemie in Mainz widersprechen jedoch dieser Hypothese, wie sie in "Nature" (Bd. 456, S.89) berichten.

Altersbestimmung

Der Erdkern ist ungefähr 4,5 Milliarden Jahre alt. Nach gängiger Lehrmeinung begann seine Bildung kurz nach der Entstehung unseres Sonnensystems und dauerte mindestens 30 bis 40 Millionen Jahre. Das Alter des Erdkerns leiten die Wissenschaftler aus dem Vorkommen einiger seltener Elemente ab. Wichtig sind dafür drei radioaktive Isotope und die bei ihrem Zerfall entstehenden Produkte. 182-Hafnium zerfällt zu 182-Wolfram, 238-Uran zu 206-Blei und 235-Uran zu 207-Blei. Die Prozesse laufen unterschiedlich schnell ab: So lassen sich aus den heutigen Isotopen-Verhältnissen von Wolfram und Blei das Alter des Erdkerns und die Dauer der Kernbildung ableiten.

In der frühen Phase war die Erdoberfläche ein glühender Ozean aus flüssigem Magma. Mit der Zeit sanken metallische Elemente wie Eisen und Nickel ins Zentrum und bildeten den Kern. Wolfram und Blei seien in Metallen besser löslich als ihre "Mutterelemente" Hafnium und Uran, hieß es. Daher sei ein Teil dieser Elemente zusammen mit Eisen und Nickel ins Zentrum abgewandert.

Experimentelle Nachprüfung

Diesen Mechanismus stellten die Forscher jetzt im Labor nach. "Dabei konnten wir zeigen, dass das meiste Blei während der Kernentstehung im Erdmantel verblieben wäre", sagte einer der Initiatoren der Studie, Carsten Münker. "Die Hypothese, nach der Blei im Erdkern angereichert ist, hält den experimentellen Ergebnissen also nicht stand." Damit sei der genaue Zeitpunkt der Kernentstehung wieder unklar - die Datierung beruhte teils auf der Annahme, das Blei stecke im Kern.

Ungeklärt bleibt auch, wohin das Blei stattdessen verschwand. Die Autoren vermuten, es könne einfach verdampft sein. So war die Oberfläche der Erde in der Frühphase des Sonnensystems über 2.000 Grad heiß. "Bei diesen Temperaturen ist Blei sehr flüchtig."

In den gleichen Zeitraum fällt die Bildung des Mondes, der der Theia-Hypothese zufolge bei einer Kollision der Proto-Erde mit einem anderen Proto-Planeten entstand. Bei dem Zusammenstoß sei es zu extrem hohen Temperaturen gekommen, bei denen ein Teil der silikatischen Erde verdampft sei und den Mond gebildet habe. "Dieser Prozess könnte auch zur Verdampfung des Bleis geführt haben", sagte Forscher Chris Ballhaus. (APA/AP/red)