Diana Gregor besuchte das CNN-Headquarter in New York.

Foto: Diana Gregor

Das "CNN Election Center".

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Manchmal verlieren Dinge an Zauber, wenn man hinter das Geheimnis ihrer Magie kommt. Sobald etwa klar wird, dass Angelina Jolie ohne Make-Up Artist und weichem Kameralicht doch nicht aussieht wie Lara Croft – jener Comic-Figur, die gleichermaßen Testosteron wie den Wunsch nach einer Brustvergrößerung anregt. Oder aber, wenn wir endlich begreifen, dass die wirklich guten Angebote im Supermarkt immer nur jenen gelten, die im Besitz einer Mitgliedskarte sind und man sich selbst nie die Extrazeit an der Kassa freischaufelt, um den entsprechenden Antrag zu stellen. Nicht zuletzt ist da jenes frühkindliche traumatische Erlebnis, bei dem wir eines Tages die Eltern und nicht den Osterhasen beim Eierverstecken ertappen. Als ich jedoch an diesem 4. November den Vorhang ein wenig zur Seite schieben und genauer hinsehen darf, geschieht genau das Gegenteil. Ich bin verzaubert.

Live dabei

Es ist "Election Night" und Amerika wählt einen neuen Präsidenten. Überall auf der Welt fiebern Menschen dem Ergebnis entgegen – vor Fernsehbildschirmen, an Computern und über Mobiltelefon. Die Möglichkeiten, um bei einem solchen Ereignis "live dabei zu sein", sind mittlerweile nicht nur vielseitig und bequem, sondern auch logistisch beeindruckend. Wie selbstverständlich beobachten wir Auszählungsergebnisse aus amerikanischen Bundesstaaten, die nicht nur Zeitzonen, sondern auch allerlei technische Hürden überspringen müssen, bis sie schließlich dort ankommen, wo sie zu Informationen umgewandelt und letztlich als "Nachrichten" überbracht werden können.

Per Knopfdruck

Dafür muss es irgendwo auf der Welt Orte geben, an denen viele emsige Menschen wie ferngesteuert vor Computern und Telefonen sitzen, um Daten auszuwerten, zu verarbeiten, miteinander zu verknüpfen und weiterzugeben. Darüber hinaus müssen die entstandenen Trends und Analysen koordiniert an jene gelangen, die dann per einfachen Knopfdruck virtuell in unserem Wohnzimmer erscheinen. Das Time Warner Center Nummer 1 in Manhattan ist ein solcher Ort. Dort sitzt nämlich CNN: TV-Pionier, Imperium und "News leader of the World".

Nigel Pritchard, Vice President für Public Relations, wartet im fünften Stock auf mich. Als ich aus dem Aufzug steige, in dem gerade Anderson Coopers erste Prognosen zu Ergebnissen aus Kentucky über den liftinternen Flatscreen laufen, passiert es. Ich kollidiere frontal mit Wolf Blitzer. Er ist auf dem Weg zur Toilette und ich bin irgendwo zwischen im Boden versinken wollend und vollkommener Glückseligkeit. Nigel führt mich in den "Newsroom": Eine riesige Halle, von deren Decke rot-weiß-blaue Dekorationskuben pendeln und in welcher tatsächlich unzählige Journalisten, bewaffnet mit Bluetooth-Geräten im Ohr, vor Computern und Fernsehbildschirmen sitzen, Daten eruieren, auswerten und weitergeben.

Ein leiser Bienenstock

Von überall steigen Kameralinsen und Mikrophone empor, Kabelträger bahnen sich möglichst leise ihren Weg und mittendrin steht Bill Schneider mit einem Glas Wasser, bevor er gleich wieder live auf Sendung geht. Es ist zweifelsohne ein Bienenstock, aber ein ausgesprochen leiser. Niemand wirkt ungestüm oder gestresst, natürlich stehen alle bei CNN unter einem enormen Druck aber der Sendungsablauf hinter den Kulissen läuft sprichwörtlich wie geschmiert. "Bei 50 Staaten gibt es 50 Möglichkeiten, Fehler zu machen", sagt Nigel, "wir können es uns nicht leisten, wieder vor einer Situation wie im Jahr 2000 zu stehen." Damals stritten Al Gore und George Bush wochenlang um die Auszählung der Wahl in Florida, ehe Bush den Vorsprung schließlich per Gerichtsbeschluss zugesprochen bekam. "Die Konkurrenzsender schlafen nicht, das wissen wir natürlich. Aber unser Credo lautet trotzdem: Lieber etwas langsamer in der Veröffentlichung der Ergebnisse, dafür aber akkurat."

"Election Center"

Etwa 100 Journalisten befinden sich im "Newsroom". Das ist nicht Usus, sondern liegt an der Besonderheit des heutigen Abends. Der Raum ist aufgegliedert in unterschiedliche Bereiche: Journalisten wie Mark Webster, der mit dem Rücken zu mir und dem Telefon am Ohr sitzt, bilden einen äußeren Ring. Links wurde das so genannte "Election Center" errichtet, von dem aus Anderson Cooper live berichtet. Weiter rechts hängt ein Touchscreen an der Wand, über welchen minütlich von Moderatoren wie Soledad O'Brian und Bill Schneider die Wählerverteilungen je nach Bundesstaaten abgerufen werden.

"Off the record"

In einer Art Appendixbereich sitzt die Online-Redaktion, die per Live-Stream berichtet. "Wir haben zum ersten Mal die Möglichkeit, zeitgleich das auf CNN.com zu projizieren, was gerade im Fernsehen übertragen wird", erklärt Nigel Pritchard. So möchte man bei CNN auch die Jungen an sich binden, die vorwiegend das Netz als Informationsquelle nutzen. Im Untergeschoss befindet sich schließlich das Herzstück des Senders: Der Kontrollraum. Dort ist für Besucher alles "Off the record" und streng koordiniert. Über eine Wand, die mit Bildschirmen ausgekleidet ist, wird einerseits Regie geführt und andererseits beobachtet, was die Konkurrenz gerade bringt.

Die Mannschaft von CNN hält sich neben den für viele erfreulichen, weil Obama-starken, Resultaten zusätzlich mit M&M's und Kaffee bei Laune. "Es ist 19 Uhr. Die Mitarbeiter, die jetzt hier sind, arbeiten heute durch bis 3 Uhr früh. Danach kommt die Frühschicht," so Nigel. Es ist ein megalomaner Apparat, der funktioniert, Besonders an diesem Abend. (Diana Gregor, derStandard.at, 5.11.2008)