Israelische Soldaten vor ihrem Einsatz im Libanon-krieg in Ari Folmans animierter filmischer Traumaverarbeitung "Waltz with Bashir".

Foto: Stadtkino

In Waltz with Bashir geht Regisseur Ari Folman auf die Suche nach seiner eigenen Erinnerung. Mit neunzehn Jahren wurde Folman als Soldat der israelischen Armee in den Libanonkrieg geschickt. Was er dort erleben und sehen musste, lässt ihn bis heute nicht los. Andere Erinnerungen fehlen vollständig, sie sind, wie es im Film heißt, "aus dem System gelöscht". Um zu verstehen, was damals geschah, sucht Folman alte Freunde und Veteranen des Krieges auf, und bittet sie, ihm ihre Erlebnisse dieser Wochen im Jahr 1982 zu erzählen.

Basierend auf diesen realen Interviews und historischen Ereignissen, entsteht Waltz with Bashir - ein Animationsfilm, der in traumartigen, halluzinierenden Bildern von den Gräueln des Krieges berichtet, von den Ängsten junger Männer, die nicht vorbereitet waren, und von den Leiden, die die Zivilbevölkerung trafen.

Standard: Ich würde gerne mit der Frage beginnen, die Ihr Freund Ihnen im Film auch stellt: Kann ein Film therapeutisch sein?

Folman: Auf jeden Fall. Ein Film ist besser als jede Psychotherapie. Viel besser. Weil er eine dynamische Art der Therapie ist. Man reist, man trifft Leute, man forscht, man macht Aufnahmen, man montiert sie. Kurz, man beschäftigt sich äußerst gründlich mit einem Thema. Viel besser, als für eine Viertelstunde irgendjemandem sein Herz auszuschütten und anschließend shoppen zu gehen.

Standard: Dann sollten wir alle Filmemacher unser selbst werden?

Folman: Es gibt viele Arten der dynamischen Therapie. Manche Menschen gehen nach Indien und beten vor einem heiligen Schrein. Man kann auch malen oder ein Buch schreiben.

Standard: Und Ihre Interviewpartner? Glauben Sie, dass auch ihnen die Arbeit am Film geholfen hat, mit ihren jeweiligen Erinnerungen an den Krieg besser umzugehen?

Folman: Das kommt darauf an. Manchen schon. Mit Ronny zum Beispiel, der schwimmend sein Leben retten musste, habe ich erst vor ein paar Tagen darüber gesprochen. Für ihn waren die Dreharbeiten eine wichtige Erfahrung. Ich würde nicht sagen, dass der Film ihn geheilt hätte. Aber ich weiß, dass er viele Jahre darauf gewartet hat, dass jemand kommt und ihn bittet, seine Geschichte zu erzählen.

Standard: Sie haben mehr als vier Jahre in dieses Filmprojekt investiert. Hat es Sie sehr verändert?

Folman: Oh ja - als wir anfingen, war ich Single, und bei Produktionsende ein Familienvater mit drei Kindern! Aber mal im Ernst: Es hat mich sehr verändert. Wenn ich vor fünf Jahren ein Foto von mir aus meiner Militärzeit, als ich neunzehn war, betrachtete, dachte ich mir: Diesen Typen kenne ich zwar, aber es verbindet mich nichts mit ihm. Wenn ich mir dieses Foto jetzt ansehe, kann ich diese Zeit als Teil meines Lebens anerkennen.

Standard: Welche Bedeutung hatte Ihrer Meinung nach der Krieg im Libanon 1982 für Israel?

Folman: Es war eine Art "versteckter" Krieg. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Israel Krieg immer nur als Verteidigungsmaßnahme geführt. Wir wurden angegriffen, und wir setzten uns zur Wehr. Dieser Krieg war etwas völlig anderes. Wir marschierten in ein anderes Land ein, die isrealischen Truppen wurden zum ersten Mal mit zivilen Kräften vermischt ... Wenn man aus solch einem Krieg heimkehrt, redet man zu Hause nicht viel darüber. Es war zu kompliziert.

Standard: Dann gibt es also in Israel eine ganze Generation von Männern, die in Ihrem Alter sind und die Ähnliches wie Sie zu erzählen hätten?

Folman: Mein Leben dort hat sich völlig verändert. Wo immer ich jetzt hingehe, auf eine Party, eine Eröffnung, eine Hochzeit, was auch immer, fangen die Leute an, mir von ihren grausamen Kriegserinnerungen zu berichten. Ich sage ihnen immer: Macht einen Film daraus!

Standard: Was hielt die israelische Presse von dem Film?

Folman: Der Film kam allgemein sehr gut an. Es gab keinerlei politische Debatte darüber.

Standard: Hat Sie das enttäuscht?

Folman: Ganz und gar nicht, ich bin froh darüber. Und überrascht. Ich dachte, mein Film würde sofort als linksliberale Propaganda abgestempelt. Das geschieht sonst immer. Manchmal unterschätzt man sein Publikum.

Ich verstehe den Film auch weniger als politisches Statement denn als den Bericht einer persönlichen traumatischen Erfahrung. Nicht zuletzt, weil all die realen Ereignisse, die er zeigt, wie Traumbilder wirken. Der Krieg als Halluzination. Der Krieg ist eine Menge Dinge, aber meiner Meinung nach ist er vor allem eines: ein sehr schlechter Trip auf Acid. Eine surreale Erfahrung, in der die Grenzen zwischen Wahrnehmung und Halluzination völlig verschwimmen. Dazu kommen Angst, Aufregung, all das. Dieses Gefühl wollte ich mit Bildern nachahmen.

Standard: Also ist es gewissermaßen ein völlig realistischer Film?

Folman: Das weiß ich nicht. Den Film zu definieren, überlasse ich anderen. Das ist die Aufgabe des Publikums oder der Presse, nicht meine. Für mich ist der Film real: So sieht Krieg aus, so fühlt er sich an.

Standard: Der Film macht eine Reihe von Referenzen auf Vietnam. Ist der Krieg im Libanon das, was der "Polizeieinsatz" der USA in Vietnam war?

Folman: Auf gewisse Weise, ja. Es war das erste Mal, dass über einen Kriegseinsatz öffentlich diskutiert wurde, dass es eine starke Anti-kriegsbewegung in Israel gab.

Standard: Vor allem der Soundtrack gibt den Kriegsbildern diese leicht unwirkliche Qualität, wie man sie sonst aus Vietnam-Filmen kennt: Erst hören wir Bach, dann Johnny Rotten.

Folman: Diese Musik ist mein Leben! Ich höre eine Menge klassischer Musik. Aber in den Siebzigern lebte ich in London, und um die Sex Pistols kam man damals nicht herum.

Standard: Der Film funktioniert hervorragend als Animationsfilm. Warum zeigen Sie uns am Ende dann doch dokumentarisches Archivmaterial?

Folman: Ich wollte alles ins richtige Verhältnis setzen. Ich wollte vermeiden, dass nach dem Abspann jemand das Kino verlässt und denkt: Hey, tolle Animation, richtig cool, klasse Soundtrack. Und darüber das Wesentliche vergisst: All das ist wirklich passiert. Leute sind in diesem Camp gestorben. Es gab ein Massaker.

(Dietmar Kammerer, SPEZIAL - DER STANDARD/Printausgabe, 28.10.2008)