Frankfurt am Main/Wiesbaden - Die vier abtrünnigen SPD-Landtagsabgeordneten im deutschen Bundesland Hessen sind innerparteilich unter heftigen Beschuss geraten. Ein Ortsverein in Frankfurt am Main stellte am Dienstag einen Antrag auf Ausschluss des Quartetts aus der SPD. Die Bundestagsabgeordnete Helga Lopez aus Hessen erhob sogar indirekt den Verdacht einer Bestechlichkeit der vier Abweichler. Die Landes-Grünen drängten nach dem gescheiterten Versuch einer rot-grünen Minderheitsregierung auf Neuwahlen, die CDU forderte zumindest eine rasche Entscheidung für oder gegen Neuwahlen.

Bereits am Montag hatte der Darmstädter Vorsitzende der SPD-Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen, Horst Raupp, einen Ausschlussantrag gegen Jürgen Walter, Dagmar Metzger, Carmen Everts und Silke Tesch angekündigt. Am Dienstag leitete der Frankfurter Ortsverein Bonames offiziell ein derartiges Verfahren ein. "Das Verhalten dieser vier Genossen ist eindeutig parteischädigend", hieß es in dem entsprechenden Antrag an das Schiedsgericht des SPD-Bezirks Hessen Süd zur Begründung.

Die Financial Times Deutschland berichtet allerdings unter Berufung auf Fraktionsgeschäftsführer Reinhard Kahl, dass die vier ihre Sitze bis zu einer möglichen Neuwahl behalten dürfen. Dann allerdings haben sie kaum Chancen, wieder für den Landtag aufgestellt zu werden.

Die vier SPD-Abgeordneten hatten einen Tag vor der geplanten Wahl von SPD-Landeschefin Andrea Ypsilanti zur hessischen Ministerpräsidentin am Montag angekündigt, sie nicht zu wählen, weil sie die Bildung einer rot-grünen Landesregierung mit Hilfe der Linken ablehnten.

Die Bundestagsabgeordnete Lopez sagte der "Wetzlarer Neuen Zeitung": "Ich hätte nicht erwartet, dass die mächtige Energiewirtschaft doch noch siegt." Es sei nicht normal, dass nach über 95 Prozent Zustimmung auf einem Parteitag einige plötzlich ihr Gewissen entdeckten. "Vielleicht stimmen die Silberlinge ja", wird Lopez weiter zitiert. In der SPD insgesamt herrschten Empörung und Unverständnis über die Abtrünnigen.

Grüne fordern Neuwahlen

Die Spitze der hessischen Grünen strebt nach dem gescheiterten Machtwechsel Neuwahlen an. Der Landesvorstand empfehle dem Parteirat, sich für eine baldmögliche Auflösung des Landtags und damit Neuwahlen auszusprechen, erklärten die Grünen nach einer Vorstandssitzung am Montagabend in Wiesbaden. Der Parteirat soll am Samstag zusammenkommen. Die Grünen bedauerten den gescheiterten Regierungswechsel von der CDU unter Roland Koch, der weiterhin geschäftsführend im Amt ist, auf Rot-Grün unter Ypsilanti mit Duldung der Linken.

Hessens CDU-Vize Volker Bouffier forderte eine Entscheidung über einen weiteren Versuch zur Regierungsbildung oder Neuwahlen in den kommenden zwei Wochen. Bis zu den nächsten Sitzungen des Landtags vom 18. bis 20. November müsse man wissen, "wohin die Reise geht", sagte der hessische Innenminister am Dienstag im Bayerischen Rundfunk. Entweder gebe es bis dahin eine Option für eine stabile Regierung oder der Wähler müsse gefragt werden. "Wir haben sicher bessere Chancen als vorher", meinte er.

Das Scheitern der geplanten gemeinsamen Minderheitsregierung in Hessen beeinträchtigt aus Sicht der Grünen auch die Chancen auf eine neue Regierungszusammenarbeit von Grünen und Sozialdemokraten auf Bundesebene in Deutschland. Die SPD befinde sich "in einem Richtungsstreit, der sie nur schwer handlungsfähig macht", sagte der Vizechef des Grünen-Fraktion im Deutschen Bundestag, Jürgen Trittin, der "Frankfurter Rundschau" vom Dienstag. Die Vorgänge in Hessen kritisierte Trittin scharf: "Wir würden uns von der SPD jenes Maß an Professionalität wünschen, dass sie bei uns vor 15 Jahren immer eingeklagt hat". (APA/AP)