Ist Barack Obama der Kandidat des amerikanischen Abstiegs? Wenn man manchen seiner Unterstützer im Kreis der außenpolitischen Experten zuhört, könnte man das annehmen. Francis Fukuyama erklärt, dass er Obnama unterstützt, weil er glaubt, dass er besser mit diesem Niedergang Amerikas umgehen könne als McCain. Fareed Zakaria preist in seinen wöchentlichen Lobreden Obamas "Realismus", womit er dessen besondere Eignung für die "postamerikanische Welt" meint. Obama, das soll nicht verschwiegen werden, hat seinerseits wenig Anlass gegeben, sich die Huldigungen dieser Niedergangspropheten zu verdienen. Seine Sicht der US-Zukunft, wie sie nicht zuletzt auch in seiner Kampagne zum Ausdruck kam, war immer eher optimistisch, was ihm schlussendlich ja auch den Vorsprung in den Umfragen eingetragen hat. Klänge er auch nur annähernd so wie Fukuyama und Zakaria ihm das unterstellen, wäre er längst weg vom Fenster.

Zu hoffen ist jedenfalls, dass der Sieger der morgigen Wahl - wer immer es auch sein mag - diesem Niedergangsfatalismus umgehend ein Ende setzt. Er wiederholt sich offenbar so alle 10 Jahre. In den späten 70ern war das außenpolitische Establishment mit dem konfrontiert, was Cyrus Vance die "Grenzen unserer Macht" nannte. In den späten 80ern prophezeihte Paul Kennedy den baldigen Zusammenbruch der US-Macht wegen "imperialistischer Überdehnung". In den späten 90ern warnte Samuel Huntington vor Amerikas Selbstisolierung uter dem Schlagwort von der "einsamen Supermacht". Und jetzt also die "postamerikanische Welt".

Dessen ungeachtet sind die Anzeichen für so einen Niedergang allerdings ziemlich dürftig. Ja, sicher, das größte Riesenrad steht in Singapur und das größte Kasino in Macau. Legt man aber etwas seriösere Maßstäbe an, kann von einem Niedergang nicht die Rede sein - auch nicht in Relation zu anderen Mächten. Der Anteil der USA an der Weltwirtschaft betrug letztes Jahr 21 Prozent, 1990 waren es 23, 1980 22 und 1960 24 Prozent. Natürlich leiden die USA an der Finanzkrise so wie jede andere größere Wirtschaftsnation auch. Aber wenn die Vergangenheit ein Orientierungsmaßstab ist, dann weiß man, wie flexibel unsere Wirtschaftsstruktur ist und kann daher wohl mit einiger Sicherheit davon ausgehen, dass die USA als erste Nation die Rezession überwinden und gestärkt daraus hervorgehen werden.

Ungeachtet dessen bleibt auch seine militärische Macht unangetastet. Der Militärapparat Chinas und Russlands wächst zwar, aber jener der USA auch, und das bei unveränderter technologischer Überlegenheit. Richtig ist, dass die Machtposition der Russen und Chinesen im Vergleich zu seinen unmittelbaren Nachbarn in der Region gewachsen ist und dass das strategische Probleme evoziert - aber das hauptsächlich deswegen weil, Amerikas Verbündete, insbesondere Europa, seine Verteidigungsanstrengungen systematisch vernachlässigt haben.

Amerikas Image hat natürlich zuletzt gelitten, wenn man weltweiten Umfragen trauen darf. Die praktische Relevanz dieser Daten ist aber völlig unklar: Ist Amerikas Image heute wirklich schlechter als beispielsweise in den späten 60ern und frühen 70ern, also zur Zeit des Vietnamkriegs, des Milay-Massakers, der Ermordung der Brüder Kennedy und Martin Luther Kings, des Watergate-Skandals? Erinnert sich vielleicht noch jemand an die Millionen von Anti-US-Demonstranten, die damals durch die Straßen Europas zogen? Heute sind dank der Bemühungen von George Bush unsere Beziehungen zu den Verbündeten in Europa und Asien enger als je zuvor, und dem nächsten Präsidenten wird es sicher gelingen, diese Bande noch zu festigen.

Diverse Theoretiker haben in den letzten beiden Dekaden auch permanent einen engeren Zusammenschluss der Welt gegen die USA vorhergesagt. Stattdessen ist etwa Indien näher an die USA herangerückt, und wenn es irgendeine Art von Frontbildung gibt, dann ist sie gegen China, Russland und den Iran gerichtet.

Seriöse Analysten wie Richard Haas erkennen an, das die Vereinigten Staaten die einzige wirkliche Weltmacht ist und bleibt. Allerdings könne eine dominierende, wenn nicht gar diktierende USA, so seine Warnung, nicht erwarten, dass alle anderen diesem Diktat widerspruchslos folgen. Das ist wahr. Aber war das denn je anders? Hat es je einen Zeit gegeben, da die USA dominieren oder gar diktieren konnte, wie es ihr gefiel?

Viele Niedergangsauguren zeichnen ein mythisches Bild der Vergangenheit, als die Welt angeblich noch nach Amerikas Pfeife tanzte. Der nostalgische Blick verklärt die Ära nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem Höhenflug der US-Dominanz . In Wahrheit mussten die Vereinigten Staaten zwischen 1945 und 1965 einen Rückschlag nach nach dem anderen hinnehmen: der "Verlust" Chinas an den Kommunismus; die nordkoreanische Invasion in Südkorea; die sowjetischen Wasserstoffbombentests; das Erwachen des postkolonialen Nationalismus in Indochina - alles strategische Niederlagen ersten Ranges und alle waren außerhalb jeder Einfluss- oder Kontrollmöglichkeit Amerikas.

Kein Ereignis in der letzten Dekade, mit Ausnahme von 9/11 hat Amerikas Position in der Welt derart geschadet. Viele werden natürlich jetzt antworten "Aber was ist mit dem Irak?"- Doch selbst im Mittleren Osten, wo Amerikas Image als Folge des Krieges am meisten gelitten hat, gab es keinen wirklichen strategischen Rückschlag. Langzeitverbündete bleiben Verbündete, und der Irak, einst ein Gegner, gehört nun zu dieser Allianz.

Und jetzt vergleichen Sie einmal diese Bilanz mit der Serie von Rückschlägen nach dem Weltkrieg. In den 50ern und 60ern hat die panarabische Bewegung eine proamerikanische Regierung nach der anderen ausgelöscht und gleichzeitig die Tür dem Einfluss der Sowjetunion geöffnet (einschließlich des Quasi-Bündnisses zwischen Moskau und Nasser, wie auch mit Syrien) 1979 brach dann eine zentrale strategische Säule der USA weg, als Khomeinis Revolution den Schah verjagte. Das hat das Kräfteverhältnis damals derart fundamental verschoben, dass sich die USA bis heute davon nicht erholt haben. Nichtes Vergleichbares geschah hingegen in der Folge des Irakkrieges .

Man sollte also vielleicht die Dimensionen ein wenig zurechtrücken. Die Gefahr eines Niedergangs besteht allenfalls dann, wenn der künftige Präsident so agiert, als gäbe es eine. Die gute Nachricht ist: Ich bezweifle, dass das der neue Präsident tun wird. Und ich bin sicher, dass ihn die US-Bürger auch ziemlich verblüfft ansähen, wenn er es täte. (DER STANDARD, Printausgabe, 4.11.2008)