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Unter dem Dach der Regionalwert AG soll eine landwirtschaftliche Mikroökonomie entstehen, die Freiburg mit Lebensmitteln versorgt.

Foto: AP/Winfried Rothermel

Eichstetten - Die Kühe von Christian Hiß führen ein glückliches Leben. Sie fressen saftiges Heu aus Bioklee, leben in einem geräumigen offenen Stall und schauen auf ein Panorama wie aus einem Italienführer: kleinteilige Weinberge, Gemüseäcker und Kleewiesen, eine Farbpalette von Traubengrün bis Dunkelrot. "Das ist doch wunderschön, oder?", sagt Hiß im gemütlichen badischen Tonfall: Eichstetten am Kaiserstuhl, eine badische Toskana, verschont vom Strukturwandel in der Landwirtschaft.

Doch der Schein trügt. Auch diese kleinbäuerliche Idylle ist - genauso wie die in vielen österreichischen Gegenden - bedroht. Überall in Europa verwandeln sich pittoreske Landschaften in riesige Getreidefelder. Monokulturen schaden mit ihrem hohen Dünge- und Maschineneinsatz der Umwelt und laugen auf Dauer die Böden aus. Die Ackerbauern interessiert das nicht. Das Getreide sichert ihnen ihr Einkommen mehr denn je: Der globale Markt hungert nach Lebensmitteln und nachwachsenden Rohstoffen als Energieträger.

Der Gärtnermeister Christian Hiß will nicht länger zusehen, wie die kleinbäuerlichen Strukturen und mit ihnen Umwelt und Kulturlandschaft kaputtgehen: "Ich warte nicht auf die Politik oder Fördergelder, ich suche nach neuen Wegen", sagt Hiß. Der 48-Jährige ist ein Schöngeist mit Arbeiterhänden. Mit seinen Trekkinghosen wirkt er eher wie ein Weltenbummler als ein Bauer.

Welten überbrückt

In gewisser Weise ist er das auch: Hiß hat nämlich scheinbar unüberbrückbare Welten zusammengebracht - er hat im September 2006 eine Aktiengesellschaft gegründet, bestehend aus seiner Biogärtnerei Querbeet und seinem Kuhstall: die Regionalwert AG. Eine Mini-AG mit einem Grundkapital von mittlerweile 875.500 Euro und 155 Aktionären, einer bunten Mischung aus Lehrern, Biologen, Unternehmern, Anwälten, Philosophen und natürlich Hiß selbst. Unter dem Dach ihrer AG soll künftig wieder eine landwirtschaftliche Mikroökonomie entstehen, die Freiburg mit Lebensmitteln versorgt. So wie es früher einmal war.

Die konkrete Vision: Die AG besteht aus großen und kleinen Unternehmen, Bauernhöfen, Bäckereien, Restaurants. Die Höfe arbeiten zusammen. Die AG-eigene Hofkäserei verarbeitet auch die Milch des Nachbarbetriebes. Außerdem beliefern sich die AG-Betriebe gegenseitig: Der Fleischbauer erhält sein Futter von der Biogärtnerei und verkauft seine Mastochsen dem Fleischer. Der liefert das Fleisch ans AG-Restaurant, dessen Köche daraus badischen Ochsenbraten mit Krensauce zaubern.

Über diese Mischung würde sich die Regionalwert AG finanziell rechnen. "Große und leistungsfähige würden kleine Betriebe subventionieren", sagt Hiß. Schließlich könnten sie eine höhere Pacht zahlen als betriebswirtschaftlich schwächere Höfe. Durch die Zusammenarbeit mehrerer Höfe würden auch deren Kosten sinken, sodass sich kleinbäuerliche Strukturen wieder lohnen - und so könnte die Kulturlandschaft am Kaiserstuhl, die die Freiburger für Wochenendausflüge so schätzen, erhalten bleiben.

Im Kleinen funktioniert die Mikroökonomie bereits, wie Hiß in einem der Gewächshäuser seiner Gärtnerei zeigt. An den Stauden hängen vereinzelt noch gelbe, rosafarbene und rot gesprenkelte Tomaten. "Das sind alte Sorten, sie sind sehr eigenwillig, krankheitsanfällig und nicht lange lagerfähig." Betriebswirtschaftlich gesehen sind diese Tomaten eine Katastrophe, aber sie schmecken gut, und die Sorten sind erhaltenswert. Einige Türen weiter stehen große Büsche mit roten runden Tomaten, robust, lange lagerfähig: "Sie subventionieren unsere alten Sorten."

Signal und Modell

Die Regionalwert AG ist ein Pilotprojekt mit Signalcharakter, Agrarexperten wie der Vorstand der Schweisfurth Stiftung für nachhaltige Ernährungssicherheit, Franz-Theo Gottwald, schauen gebannt nach Eichstetten. Sollte Hiß' Idee aufgehen, könnte sie Modell stehen für viele Regionen, denen sonst die Verwandlung in Monokulturen droht.

Die Chancen für einen Erfolg stehen gut: Regionalisierung ist neben Bio der zweitgrößte Trend im Lebensmittelbereich. Auf beides legen immer mehr gutverdienende, umwelt- und gesundheitsbewusste Menschen Wert, die "Lohas" (vom Englischen Lifestyle of Health and Sustainability). "Die Menschen sehnen sich nach Waren, die nicht hunderte oder tausende Kilometer zurücklegen müssen, bevor sie auf dem Teller landen. Dafür geben sie auch die rund 15 Prozent mehr aus, die die regionale Erzeugung kostet", sagt Anja Kirig, Autorin einer Studie des deutschen Zukunftsinstituts über die Lohas. Auch für österreichische Bergregionen könnte das AG-Modell interessant sein. Denn dass Regionalität gefragt ist, zeigt unter anderem der Erfolg der Marke "Zurück zum Ursprung" , die der Bio-Vordenker Werner Lampert kreiert hat.

Auf die Idee zur Regionalwert AG kam Hiß über Umwege. Als die Bank ihm im Jahr 2000 einen Kredit für einen neuen Kuhstall verweigerte, machte er sich auf die Suche nach anderen Finanzierungsformen - und landete nach reiflicher Überlegung bei der AG. Damit sie wachsen kann, läuft derzeit eine Kapitalerhöhung. 115 Aktionäre hat Hiß von seinem Konzept in den vergangenen Monaten überzeugt, sie kauften bis Ende August Aktien im Wert von 440.000 Euro.

Mit dem Geld will Hiß eine weitere Gärtnerei kaufen und einen Bio-Caterer für Freiburger Schulen aufbauen. Bis Jahresende sollen insgesamt 1,3 Millionen Euro von Aktionären eingesammelt werden. Christian Hiß sieht die Zukunft schon vor sich - sie sieht so ähnlich aus wie heute: eine Farbpalette von Traubengrün bis Dunkelrot. (Insa Lienemann/DER STANDARD, Printausgabe, 4.11.2008)