ÖVP-Chef Josef Pröll marschiert mit Entourage zur Koalitionsrunde. Die Stimmung ist derzeit noch von wechselseitigem Misstrauen geprägt.

Foto: DER STANDARD/Cremer

Eigentlich haben sich SPÖ und ÖVP verpflichtet, auf derartige Scharmützel im Sinne einer "Regierung neuen Stils" zu verzichten, doch hinter den Kulissen gehen die Spielchen bereits wieder los.

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Wien - Rudelbildung im Parlament: Während sich Werner Faymann und seine Genossen an einem Ende des Ganges, quasi auf dem Normalweg, den Journalisten stellten, wählte Josef Prölls Team geschlossen eine Alternativroute über eine Stiege auf der anderen Seite - ein Sinnbild für die atmosphärische Basis, auf der die jüngste Runde der Koalitionsverhandlungen am Donnerstag aufbaute. Die Delegationen von SPÖ und ÖVP steuerten den Sitzungssaal nicht nur von verschiedenen Seiten an, sie redeten auch aneinander vorbei.

Schleunigst "den finanziellen Rahmen" für Steuerreform und Konjunkturmaßnahmen abstecken wollte ÖVP-Anführer Pröll, und zwar "auf Punkt und Beistrich". Schließlich müsse man vor den Verhandlungen wissen, wie viel Geld zur Verfügung stehe. Damit die einzelnen Untergruppen keine Pläne austüfteln, die gar nicht leistbar sind, ergänzte Innenministerin Maria Fekter.

Sparen vs. Schuldenmachen

Genau dagegen sträubt sich Faymann. Er wolle die konkrete Budgetentwicklung erst am Ende der Koalitionsverhandlungen festschreiben, sagte er vor der donnerstäglichen Sitzung: „Es besteht keine Veranlassung, sich heute auf Prozentsätze festzulegen." Zuerst müsse man abklären, welche Projekte die Regierung umsetzen wolle. Außerdem gebe es keine Garantie, dass die von der Regierung versprochene Banken-Hilfe nicht schlagend werde. "Wer heute sagt, wir machen nicht mehr als drei Prozent Defizit, ist ein Hellseher", argumentierte Faymann.

In schwarzen Ohren klingen solche Sätze wie eine Provokation. Seit Jahrzehnten pflegt die ÖVP das Image der Sparefroh-Partei, die rote "Schuldenmacher" in die Schranken weist. Pröll warnt vor "Überschuldung" und möchte das Maastricht-Limit von drei Prozent minus lieber nicht überschreiten. Der Wunsch der SPÖ, einen Teil der Steuerreform auf 2009 vorzuziehen, gilt in der ÖVP ohnehin als "völlig illusorisch", wie es in Koalitionskreisen heißt.
"Es ist wie bei den Verhandlungen vor zwei Jahren", klagt ein Schwarzer. Wie damals wehre sich die SPÖ dagegen, präzise Vereinbarungen auszuhandeln - worunter dann eine künftige Regierung zu leiden habe. Faymann wolle nichtpaktierte Ideen hinterher mithilfe der Boulevardmedien durchzusetzen, mutmaßen ÖVPler. Am Mittwoch habe der SP-Chef ja wieder einmal ein persönliches Drei-Punkte-Programm hinausposaunt - ohne sich, wie ausgemacht, mit dem Partner in spe abzusprechen.

"Die ÖVP richtet uns doch selbst Nettigkeiten über die Medien aus", kontern Sozialdemokraten und verweisen auf Sticheleien Fekters gegen ihren Verhandlungspartner Norbert Darabos. "Mehr als einmal" habe der rote Verteidigungsminister fixierte Termine geschwänzt, beschwerte sich die schwarze Verhandlungskoordinatorin. Stimmt nicht, heißt es aus Darabos' Büro: Nur ein einziges Mal habe der Ressortchef abgesagt.

Scharmützel im alten Stil

Eigentlich haben sich SPÖ und ÖVP verpflichtet, auf derartige Scharmützel im Sinne einer "Regierung neuen Stils" zu verzichten, doch hinter den Kulissen gehen die Spielchen bereits wieder los. Gegenseitig werfen sich Rote und Schwarze vor, bereits die Scheidung zu suchen, bevor die Ehe überhaupt geschlossen wurde. Die ÖVP wolle nicht wirklich in die Regierung, so eine SPÖ-These (siehe Minderheit für Minderheitsregierung). Vice versa kursieren ähnliche Theorien: Faymann strebe in Wahrheit eine Minderheitsregierung an. Als Indiz gilt, dass sich die FPÖ bei der Wahl Martin Grafs zum Dritten Nationalratspräsidenten kaum auf die SPÖ eingeschossen hat, obwohl diese ihren Abgeordneten erlaubt hatte, gegen den Freiheitlichen zu stimmen.
Dementsprechend dürftig waren die verkündeten Ergebnisse der Runde vom Donnerstag. Eine Woche lang wollen die Chefverhandler und ihre Finanzexperten nun versuchen, in Sachen Budget auf einen grünen Zweig zu kommen. Auf konkrete Vorgaben wollten sich weder Faymann noch Pröll einlassen. Nur Burgenlands Landeshauptmann Hans Niessl (SPÖ) wurde etwas deutlicher und versprach eine Vorentscheidung über den künftigen Budgetplan sowie über die Frage, welcher Teil einer Steuerreform wann kommt.

Andere Verhandler beurteilten das Gespräch wie üblich mit den wohlwollenden Adjektiven wie "konstruktiv", "intensiv" oder "spannend". "Mir ist es immer lieber, Punkte abzuhaken", meint die rote Bildungsministerin Claudia Schmied: "Aber wie es aussieht, braucht es noch Zeit." (Gerald John und Günther Oswald, DER STANDARD, Printausgabe, 31.10.2008)