In dieser Grube fanden sich Spuren von vier Tsunamis aus 2.500 Jahren.

Foto: Brian Atwater

Die Welle kam, stieg und zermalmte. Eine bis zu 35 Meter hohe Wasserwand prallte am 26. Dezember 2004 auf die Küste der Provinz Aceh auf der Insel Sumatra und raste zum Teil kilometerweit in das Binnenland hinein. Zurück blieb eine monströse Spur aus totaler Verwüstung und Leichen. Ein Seebeben der Stärke 9,2 auf der Richter-Skala hatte den gewaltigen Tsunami entfesselt. So wurde die wohl größte Naturkatastrophe der Neuzeit ausgelöst, die rund um den nördlichen Indischen Ozean schätzungsweise 300.000 Menschen das Leben kostete. Die genaue Zahl der Opfer wird nie jemand kennen.

Sowohl der Wucht des Tsunami wie auch die Stärke des Bebens von Weihnachten 2004 werden für diese Region oft als bisher unerreicht bezeichnet. Doch stimmt das wirklich? Die historischen Aufzeichnungen reichen im allgemeinen nicht weiter als zweihundert Jahre zurück, und am Sunda-Graben, der vor der Küste Sumatras und im Golf von Bengalen den Meeresboden durchschneidet, herrscht schon seit Millionen Jahren tektonische Aktivität.

Um genauere Information über die Häufigkeit von Tsunamis in diesem Gebiet zu erhalten, machte sich ein internationales Forscherteam unter Leitung der Geologin Katrin Monecke von der Kent State University im US-Bundestaat Ohio an die Arbeit. Man nahm Bohrproben aus dem Küstenstreifen nördlich der Stadt Meulaboh an der Westküste Acehs. Hier war die Monsterwelle 2004 bis 1,8 Kilometer weit landeinwärts vorgedrungen und hatte - wie bei Tsunamis üblich - eine bis zu 25 Zentimeter dicke Sandschicht deponiert. Sie ist sozusagen der Fingerabdruck der Katastrophe.

Die Küstenlinie nahe Meulaboh ist übrigens nicht stabil. Sie wächst stetig an und verschiebt sich dabei westwärts, ungefähr einen Meter jährlich. Die Ursache: Parallel zum Strand verlaufende Meeresströmungen lagern ständig Sedimente ab. So entsteht ein Muster aus Sandbänken und Rinnen, welches auch landeinwärts erhalten geblieben ist. Alte Rinnen füllen sich später mit Torfboden, der aus Sumpfvegetation entsteht. Und genau in dieser Erde wurden die Wissenschaftler fündig: Sie stießen auf drei weitere Sandschichten, die in Form und Zusammensetzung den Ablagerungen aus 2004 sehr ähnlich waren. Die Ergebnisse ihrer Nachforschungen veröffentlichten die Experten in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift "Nature" (Bd. 455, S. 1232).

Die jüngste der drei neuentdeckten Schichten war nur dünn und geringfügig ausgeprägt. Sie ist wahrscheinlich das Produkt eines kleinen Tsunamis, der 1907 an der Küste Acehs brach und kaum Schäden anrichtete. Die beiden anderen Ablagerungen sind jedoch deutlich mächtiger und könnten durchaus von echten Monsterwellen des Kalibers 2004 stammen. Radiocarbon-Datierungen von Pflanzenresten aus dem Torfboden unmittelbar unter diesen Schichten lassen darauf schließen, dass die Sandspuren dieser früheren Tsunamis etwa 1.000 bzw. 600 Jahre alt sein dürften. Interessanterweise hat ein anderes Forscherteam auf der thailändische Insel Phra Tong ebenfalls Sandablagerungen von zwei älteren Flutwellen gefunden, wovon die jüngste vor rund sechs Jahrhunderten dieses Küstengebiet heimgesucht haben müsste ("Nature", Bd. 455, S. 1228).

Den Funden von Meulaboh und Phra Tong nach zu urteilen sind Riesentsunamis im nordöstlichen Teil des Indischen Ozeans eine zwar seltene, aber regelmäßig wiederkehrende Form von Naturgewalt. Weil zwischen ihrem Auftreten oft mehrere Generation liegen, tendieren die Menschen an der Küste jedoch dazu, diese Gefahr zu vergessen. Mit tödlichen Folgen: Gerade in Aceh flohen die meisten Menschen 2004 nicht, obwohl die Erde bebte und das Meer sich zurückzog, lange bevor die Welle eintraf. "Die Erinnerung muss über mehrere Jahrhunderte wach gehalten werden", sagt Katrin Monecke im Gespräch mit dem STANDARD. Nur so lassen zukünftig Menschenleben retten, denn der nächste Tsunami kommt bestimmt. Irgendwann.  (Kurt de Swaaf/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 30. 10. 2008)