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Nanoröhrchen halten auch Starkstrom aus. Ihre Eigenschaften stehen im Zentrum der Risikoforschung.

Was besonders leitfähig ist, könnte auch krebsfördernd sein. Die Betonung liegt auf "könnte". Die Forschung steht vor vielen offenen Fragen.

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Kohlenstoffnanoröhrchen haben einige recht brauchbare Eigenschaften: Die mikroskopisch kleinen Gebilde sind etwa tausendmal stärker durch Strom belastbar als Kupfer und leiten Wärme deutlich besser als der Diamant, der beste in der Natur vorkommende Wärmeleiter. Da sie auch noch halbleitend sind, kann man besonders leistungsfähige Transistoren für die Elektroindustrie mit ihnen bauen.

Die Nanoröhrchen haben aber auch sehr schlechte Eigenschaften. In einer im Frühjahr 2008 in der Fachzeitschrift Nature Nanotechnology publizierten Arbeit hieß es, sie seien, in entsprechenden Mengen aufgenommen, genauso krebserregend wie Asbest. In Medien wurde das Paper natürlich oft zitiert. Beim Bioanalytiker Frank Sinner löst es nur Achselzucken aus. Seine Kritik: "Das Experiment gibt keinen schlüssigen Beweis für krebserregende Eigenschaften der Nanotubes. Die Wissenschafter injizierten sie bei Mäusen, was zu entzündungsbedingten, knotenartigen Gewebeneubildungen führte. Das heißt noch lange nicht, dass sie bei der Inhalation jene Krebsart verursachen, die durch Asbest hevorgerufen werden kann."

Sinner, einer der Geschäftsführer der BioNanoNet Forschungsgesellschaft in Graz, spricht an, was das grundlegende Problem bei der Analyse von Nanomaterialien und ihrer möglichen Giftigkeit ist: Stoffe mit neuen Eigenschaften, können die Gesundheit gefährden, tun das aber, selbst wenn sie bereits einmal entlarvt wurden, nicht immer - das hängt von vielen Eigenschaften ab, von der Zusammensetzung, von der räumlichen Anordnung der Partikel im Material und vom Zugang zum menschlichen Körper: "Ob ich etwas einatme, auf die Haut auftrage oder schlucke, macht einen großen Unterschied", sagt Sinner.

Ein unbekanntes Land

Allein, welchen Unterschied es genau macht, ist bisher nicht gesichert: Die Nanotoxikologie kann derzeit nur jedes Nanomaterial separat auf seine mögliche gesundheitsschädigende Wirkung untersuchen, nicht aber aufgrund von Eigenschaften auf das Gesundheitsrisiko im jeweiligen Kontext schließen. Eine sehr aufwändige Analyse. Man stehe daher erst am Anfang, die Wissenschaft sei eine "Terra incognita", wie auch "RTD Info", das Forschungsmagazin der EU-Kommission, schreibt. Forscher seien auf der Suche nach standardisierten Methoden. In etwa fünf bis zehn Jahren sollte man sie gefunden haben, sagt Sinner.

Die große Wissenslücke will die Forschung durch zahlreiche Initiativen und Plattformen schließen. Die OECD zum Beispiel hat 14 industrielle Nanomaterialien definiert, die nun auf ihr gesundheitsschädliches Potenzial getestet werden. Auch in Österreich versucht man, den Anschluss an die internationale Forschung in diesem Bereich zu halten: In Graz zum Beispiel entstand Anfang des Jahres das "European Center for Nanotoxicology" (EuroNanoTox) als Projekt der BioNanoNet Forschungsgesellschaft. Die Forscher verstehen sich als Plattform. Sinner beschreibt, wie man sich positionieren will: "Wir möchten in Österreich vorhandenes Wissen und Methoden im Bereich der Nanotoxikologie sichten, bündeln, vernetzen, vorhandene Lücken schließen, das Thema voranbringen und schließlich Beratung und wissenschaftliche Tests für Firmen anbieten, die an neuen Produkten mit nanostrukturierten Materialien arbeiten." Dafür werden Tests erarbeitet, die hohen Qualitätsstandards entsprechen sollen und der Industrie Sicherheit geben, ob die neue Creme, der neue Lack oder der Spray unerwünschte Folgen beim Menschen haben. Eventuelle Einflüsse auf die Umwelt werden zurzeit innerhalb des EuroNanoTox nicht behandelt.

Bisherige Erkenntnisse sind überschaubar: Höchstwahrscheinlich lässt "intakte Haut" Nanopartikel nicht durch. Die Frage ist nur, ob die Nanopartikel im Fall eines Sonnenbrands, eines Schnitts oder einer Schuppenflechte die Haut nicht doch überwinden können. Bei Legierungen oder Werkstoffen, in die Nanomaterialien eingearbeitet werden, geht die Wissenschaft davon aus, dass das Risiko für den Menschen vernachlässigbar ist. Allerdings ist ungeklärt, ob die Stoffe, wenn sie entsorgt werden, wieder in die Umwelt gelangen - und vielleicht so "humantoxische Auswirkungen" haben. Besonders gefährlich ist der Nanostaub. Allerdings sind auch hier viele Fragen offen: Nanopartikel verklumpen sich gerne. Wenn sie zusammen mit anderen Teilchen dann zwei bis fünf Mikrometer große Aggregate sind, können sie in die tiefen Lungenarealen eingeatmet werden. Wie verhalten sie sich dann in der Lunge? Zerfallen sie wieder zu einzelnen Nanopartikeln, und wie steht es um die Giftigkeit von verklumpten gegenüber freien Nanopartikeln?

Notwendige Fragen für eine lückenlose Risikoabschätzung. Angesichts vieler angstmachender Zeitungsbeiträge und Fernsehreportagen glaubt Sinner aber, man sollte "die Kirche im Dorf lassen". Menschen seien seit tausenden Jahren von Nanopartikeln in der Luft umgeben - durch jeden Verbrennungsvorgang würden sie freigesetzt werden. "Sie sind auch in den Autoabgasen." Die Nanowissenschaft sei also eine "Querschnittmaterie, die schon immer da war", aber "durch neue technologische Entwicklungen, die Materialien gewünschte Eigenschaften gibt, möglicherweise neue gesundheitsgefährdende Aspekte hat". (Peter Illetschko, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 29. Oktober 2008)