Chengdu, auf den ersten Blick eine graue, in Nebel und Smog gehüllte Großstadt, entpuppt sich nach wenigen Stunden, abgesehen von der kaum zu atmenden Luft, als gar nicht so unwirtlich. Vor allem ist Chengdu eines der Zentren für Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) Ausbildung und fällt damit für Julie definitiv in die engere Auswahl für ihre Ausbildungspläne.

Chengdu. Foto: Knut
Foto: Knut Rakus

Während sie sich in entsprechenden Einrichtungen informiert, besuche ich das kleine tibetische Viertel und schicke knapp sechs Kilogramm an warmer Kleidung (die brauchen wir hoffentlich nicht mehr) etc. nach Hause. Im Gegensatz zum indischen Postwesen verläuft derartiges hier in China vergleichsweise streng geordnet und nüchtern. Auch nach mehrmaligen Versuchen lässt sich die Dame am Schalter kein Lächeln entlocken...

Nachmittags wird mir außerdem vom lokalen Amt für öffentliche Sicherheit (PSB) beschieden, was wir eh schon befürchtet hatten: Unser "Tibet Gruppen-Visum" ist nicht verlängerbar. Wir müssen also schnellstmöglich das Land verlassen, da unser "Visum" bald abläuft. Also sitzen wir nach einem Tag und einer Nacht in Chengdu wieder im Zug.

Unser Ziel ist Kunming, das wir nach 20 Stunden auch wohlbehalten erreichen. Leider ist uns auf dieser Zugfahrt wieder bewusst geworden, wie ekelhaft manche Gewohnheiten der Chinesen sind bzw. wie fremd ihre Verhaltensweisen auf uns wirken. Besonders sei hier das so genannte "purging" erwähnt – dabei werden unter starkem Würgen lautstark Hals und Rachen "gereinigt" ehe der so zu Tage geförderte Inhalt in der näheren Umgebung "entsorgt" wird. Diese Tätigkeit unserer "Mitbewohner" im Abteil, die scheinbar zu jeder Tages- und Nachtzeit unabhängig vom Aufenthaltsort durchgeführt wird, raubt uns auf dieser Zugfahrt den Schlaf.

Die Landschaft, die während der Zugfahrt an uns vorbeizieht, ist grün und grau zugleich. Landwirtschaft (vor allem Reis und Mais), Bambuswälder und Schwerindustrie (Kohle) existieren hier unmittelbar nebeneinander. Über allem stehen grau und undurchdringlich Nebel bzw. Smog. Der Grund für die offensichtliche Luftverschmutzung sind die vielen Schornsteine, die tief grauen bis schwarzen Rauch ausstoßen. Kein Wunder also, dass Häuser, Menschen und deren Dörfer an denen wir hier vorbeieilen, grau in grau und irgendwie bedrückend wirken.

Angesichts der vielen Schornsteine lässt sich die Erinnerung an den versuchten "großen Sprung nach vorn" nicht verdrängen. Mao hatte damals verfügt, überall im Land in unzähligen kleinen Hochöfen Stahl zu produzieren. Das Ergebnis war fatal. Zwar wurden einerseits Unmengen Stahl produziert um die Vorgaben der Zentralregierung zu erfüllen, dieser war aber zu einem großen Teil minderwertig, da die Bevölkerung, nur um ja die vorgeschriebenen Mengen herzustellen, so gut wie alle entbehrlichen Metallgegenstände einschmolz. Aufgrund der Vernachlässigung der Landwirtschaft verhungerten in indirekter Folge Millionen Menschen. Die Nachricht über dieses offensichtliche Versagen der angeordneten Politik erreichte die oberen Chargen jedoch nicht, da es niemand wagte, negative Berichte, Kritik, oder gar das Nichterreichen von vorgegebenen Zielen weiterzuleiten.

Da die Zeit drängt – bis zum Ablauf unseres Visums bleiben nur mehr zwei Tage – müssen wir das Erkunden von Kunming auch auf später verschieben. Vom Bahnhof geht es schnurstracks zum laotischen Konsulat, wo wir einen nicht übermäßig motivierten Herrn mit einer kleinen Gebühr überreden, uns ein Express-Visum auszustellen. Nachdem wir dieses am Nachmittag in Empfang genommen haben, geht's gleich weiter zum Busbahnhof. In dem Bus, der uns über Nacht wieder ein Stück weiter nach Süden Richtung Grenze bringen sollte, staunten wir erstmal nicht schlecht, als wir zum Ausziehen unserer Schuhe aufgefordert wurden. Im Gegenzug erhielten wir jeder zwei Plastiksackerln die sich mit einer Schnur schließen ließen und als "Socken" für die nächsten zwölf Stunden dienten. Die Nacht im Schlafbus verging dank Ohropax und Kapuze rasend schnell – die wenigen Blicke, die ich auf den viel zu lauten Fernseher geworfen habe, haben gezeigt, dass ich ohnedies nichts versäumt habe.

Im Nachtbus Richtung Laos. Foto: Knut
Foto: Knut Rakus

Am nächsten Morgen müssen wir auf unser Vorhaben, mit dem Boot auf einem Zubringer zum Mekong weiterzureisen und die Grenze somit ohne weitere Strapazen zu erreichen, leider verzichten – der Fluss führt zu wenig Wasser. Stattdessen geht's weiter fünf Stunden Richtung Süden – diesmal eingepfercht in einem Minibus mit fünfzehn anderen auf neun Sitzen. In einem namenlosen Dorf aus dem Bus geworfen besteigen wir einen Pickup, der uns die restlichen Kilometer auf der, mittlerweile den Namen Straße nicht mehr verdienenden Piste zur Grenze bringt. Am späten Nachmittag des letzten Tages unseres Visums werden wir nach einiger Diskussion doch noch aus dem Land gestempelt – Laos wir kommen.

Die Odyssee ist zu Ende – Willkommen in Nong Khiew

Hier werden wir endlich, zum ersten Mal seit wir Lhasa verlassen haben, mehr als eine Nacht an einem Ort verbringen. Der Kontrast könnte größer nicht sein. Vorbei sind die kargen Weiten des tibetischen Hochlandes, lang fort die endlosen menschenleeren Gebiete in ihren Braun- und Grautönen, über ihnen die schneebedeckten Gipfel. Hier in Laos ist die dominierende Farbe Grün. Soweit ich von hier blicken kann (ich sitze am schlammigen Ufer eines späteren Mekongzuflusses namens Nam Ou) ist alles, bis auf eben das Wasser, grün. Tiefer Urwald erstreckt sich zu beiden Seiten des Flusses, dicht und undurchdringlich. So dicht, dass man hierher nur mit dem Boot kommt.

Der Höhepunkt unserer eben zu Ende gegangenen Odyssee war wohl die erste Konfrontation mit dem laotischen Staatsapparat und das Erkennen der eklatanten Unterschiede zum nördlichen Nachbar China. Hier gehen die Uhren wirklich anders, nicht nur wegen des einstündigen Zeitunterschiedes. War die Ausreise aus China noch ein letztes Aufeinandertreffen mit dem allmächtigen chinesischen Staat in reinster Form (Formulare, Stempel, Unterschriften etc.), welches mit an Wahnsinn grenzender Genauigkeit wahrgenommen wurde, so verlief die Einreise auf laotischer Seite wenige Minuten später doch erheblich anders.

Nach wenigen Minuten im rechtlichen Niemandsland am laotischen Einreiseschalter angekommen, wird mir vom diensthabenden Beamten glaubhaft versichert, dass sein Schalter jetzt (und zwar genau ab jetzt) leider geschlossen ist (es war früher Nachmittag, der Grenzposten menschenleer). Ich möge doch in einer Stunde wiederkommen. Wiederkommen ist relativ, würde ich mich doch ohnedies nur im Niemandsland bewegen können, da ja weder die Einreise nach Laos noch China möglich war. Sprach's, stand auf und verschwand im Inneren des Gebäudes um fünf Minuten später, diesmal in Zivil und mit seinen Kollegen, die ebenfalls "gerade" geschlossen hatten, am Platz neben dem Grenzposten Volleyball zu spielen (nicht ohne mich verschmitzt anzulächeln).

Volleyball statt Einreisestempel. Foto: Knut
Foto: Knut Rakus

Da saß ich nun, unfähig mich wirklich zu bewegen, immer noch ungläubig den nun verwaisten Schalter anstarrend im Niemandsland. Was tun? Kurz entschlossen entschied ich mich für ... eine Partie Volleyball, entschlossen, mir meinen Einreisestempel zu erspielen. Leider scheint dies nicht die erste Volleyballpause des Grenzwärters gewesen zu sein und nach einer geschlagenen Stunde und einer haushohen Niederlage erhielt ich endlich meinen Einreisestempel – willkommen in Laos.

Im Gegensatz zum gerade verlassenen China herrscht hier aber auch außerhalb der Grenzposten ein anderer Wind, der sofort spürbar wird. Die Einheimischen sind auffällig freundlich, ein scheinbar immer präsentes Lächeln auf den Lippen. Obwohl auch in Laos ein kommunistisches Regime herrscht, wird bald klar, dass die Mentalität der Menschen hier nicht gebrochen und gleichgeschaltet wurde. Kultur, Tradition und vor allem Religion spielen eine große Rolle im Alltag. Tempel sind Orte der aktiv gelebten Religion und nicht etwa Plätze an denen sich die rigide Minderheitenpolitik voll entfaltet.

Laos ist eine zutiefst rurale Gesellschaft, arm nach materiellen Standards, aber reich an Tradition, Kultur und Lebensfreude. Letztere schlägt sich auch gleich in unserem Alltag nieder, der in diesen ersten Tagen der Erholung von der langen Reise und ihren Strapazen geprägt ist von traditioneller laotischer Massage, dem exzellenten laotischen Kaffee und dem überraschend guten Beer Lao. Uns geht's gut – wir fühlen uns hier, im Gegensatz zu China, sehr sehr wohl! (Knut)