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Haiders Wagen nach dem tödlichen Crash - oder war es doch ein Bombenanschlag? Laut Ferndiagnose der Verschwörungstheoretiker hätte der Landeshauptmann einen Unfall spielend überleben müssen.

Foto: APA/Eggenberger

Wien - Es war wohl Scopolamin. Ein paar Tropfen dieser Geheimdienstdroge reichen, weiß Wolfgang Eggert, und man ist "binnen Sekunden komplett gebrainwashed" . Wie ein "Hündchen" muss Jörg Haider den Entführern gefolgt sein, ehe sie ihn massakrierten und in eine "vorgeschrottete Doublette" seines Autos setzten. Wer diesen teuflischen Plan ersonnen haben könnte? "Brüssel oder die Österreicher selbst" , sagt Eggert: "Auf jeden Fall ein Geheimdienst."

Der 36-jährige Münchner, Autor zahlreicher Bücher über "Politlogen", "apokalyptische Sekten" und "geopolitische Netzwerke" , ist nicht der einzige Verschwörungstheoretiker, der abenteuerliche Thesen zu Haiders Tod verbreitet. Die einen, wie der Ex-FPÖ-Politiker Karl-Heinz Klement, vermuten einen Anschlag des israelischen Geheimdienstes Mossad, andere tippen auf die Freimaurer. Hat Haider in seinen letzten Tagen nicht die internationale Bankenszene als "Mafia" enttarnt, "die die ganze Welt vergiftet" ? "Das stinkt nach Auftragsmord, der eure Handschrift trägt!" , orakelt ein "Aufdecker" im Internet.

Klingt durchgeknallt - findet aber ein breites Publikum. Von "einer ständigen Versuchung" spricht der deutsche Geschichtsprofessor Dieter Groh: Verschwörungstheorien bieten simple Begründungen für bittere Ereignisse, die sich die Menschen nicht erklären können - oder wollen. Nicht komplexe Zusammenhänge bestimmen demnach den Lauf der Welt, sondern konspirative Mächte im Hintergrund: Juden, Freimaurer, Geheimdienste, was sich zwar nie beweisen, aber halt auch nicht empirisch widerlegen lässt.

"Wie in Abrahams Schoß"

Eineinhalb Jahre nach dem 11. September glaubte laut einer Umfrage jeder fünfte Deutsche, die USA könnten den Anschlag selbst eingefädelt haben, einschlägige Literatur eroberte die Bestsellerlisten. Der Autor Gerhard Wisnewski durfte seine "Enthüllungen" damals im Westdeutschen Rundfunk ausbreiten, nun zerbricht er sich über Haider den Kopf. Per Ferndiagnose hat Wisnewski das Autowrack analysiert - und kommt zum gleichen Schluss wie seine Branchenkollegen: "Da staunt der Fachmann, und der Laie wundert sich: So dürfte diese Limousine gar nicht aussehen." Haider hätte einen Unfall fast spielend überleben müssen, suggerieren Wisnewski und Co: "In einem VW Phaeton sitzt man so sicher wie in Abrahams Schoß."

Tatsächlich? "Kracht man mit 150 km/h gegen einen Pfeiler, ist man auch im Phaeton tot," rückt ÖAMTC-Cheftechniker Max Lang, Zeuge zahlreicher Crashtests, den Mythos vom bombensicheren Auto zurecht. Haider fuhr zwar nicht frontal gegen eine Wand, touchierte aber mehrere Hindernisse, vom Erdwall bis zum Hydranten. Auch eine schwere Limousine könne sich bei Höllentempo überschlagen, erklärt Lang: "Landet der Wagen unglücklich, schlägt das Dach wie ein Hammer auf den Kopf des Fahrers. Und beim zweiten und dritten Überschlag funktioniert der Airbag nicht mehr." Anders als die Verschwörungstheoretiker hält Lang Haiders Verletzungen keinesfalls für untypisch.

Bombenkrater im Dach

Die Zweifler im Internet zitieren als Quelle für ihr sicherheitstechnisches Fachwissen die VW-Werbung. Was sie nicht dazusagen: Nach dem Crash inspizierte eine Delegation des Autokonzerns Wrack und Unglücksort. Gründe, an der offiziellen Unfallversion zu zweifeln, fanden die VW-Experten keine, erzählt Konzernsprecher Hermann Becker. Das Loch im Dach erklärt er sich mit einem der Hindernisse, das Haiders Auto, offenbar schon am Überschlagen, gerammt hatte; im Netz gilt es längst als Indiz für ein Bombenattentat.

Die Staatsanwaltschaft hat bislang keinen Hinweis auf Fremdverschulden entdeckt und wartet nun auf das von ihr in Auftrag gegebene Gutachten. Doch selbst wenn dieses in ein paar Wochen vorliegt, werden möglicherweise Fragen offenbleiben. Die Mythenbildung wird nicht abreißen - auch durch die Entscheidung von Haiders Angehörigen, den Leichnam vorerst nicht einäschern zu lassen (siehe Artikel unten). Weil sie daran zweifeln, dass sich der Landeshauptmann betrunken hat?

Offiziell ist auch da alles klar. Haider verunglückte mit 1,8 Promille im Blut, dazu reicht eine halbe Flasche Schnaps in eineinhalb Stunden. Das Unfallrisiko beträgt laut Kuratorium für Verkehrssicherheit bei diesem Pegel das 30fache, Übermüdung fällt zusätzlich ins Gewicht. Logische Voraussetzungen für einen Crash? Nicht für den Enthüller Eggert: "Wie kommt ein intelligenter Mensch dazu, sich acht Stunden vor dem Geburtstagsmarathon seiner Mutter die Birne zuzukippen?"

"Verschwörungstheorien sind deshalb so schwer zu knacken, weil sie die Wirklichkeit an Konsistenz übertreffen" , sagt der Historiker Groh: "Sie sind meist logischer als die Realität." (Gerald John, DER STANDARD, Printausgabe, 25.10.2008)