Filmer und Komponist Tony Conrad entlockt der Fidel schräge Töne und zeigt den Weg: "Dissonanz is the new Schmaltz."

Foto: Unlimited

Wien - Was sich mit Zelluloid alles machen lässt, wenn es für Vorführungen nicht mehr gebraucht wird, demonstriert der Allround-Avantgardist Tony Conrad in dem wunderbaren filmischen Porträt DreaMinimalist von Marie Losier. Er nimmt ein altes Kochbuch, schlägt es beim Rezept für eingelegte Zwiebeln auf, sucht das "zwiebligste" Filmmaterial ("positive fine grain" erweist sich als die richtige Wahl), und verwandelt die Küche in ein veritables Labor. Das Ergebnis bilden eine Reihe von sorgfältig verschlossenen Einmachgläsern: "pickled film". Ein lebenswichtiger Vorrat für das digitale Zeitalter.

Tony Conrad, der ein wenig aussieht wie Bill Murray mit der Brille von Paul Schrader, zeigt der ganzen Welt, wie man in Würde altert - mit einem Hang zum Slapstick nämlich. Der Weggefährte und Zeitgenosse von La Monte Young, Jack Smith, John Cale und John Cage lässt sich in DreaMinimalist bevorzugt in pastellfarbenen Anzügen filmen und entlockt seiner Fidel schräge Töne. In der populären Kultur, die immer mehr zu einem Spiel zwischen (alten) Hasen und (älteren) Igeln wird, zeigt Tony Conrad den Weg: Dissonanz is the new Schmaltz (nur richtig scheppern muss es dazu). Das hat ihm in den letzten Jahren zu einer späten Karriere verholfen.

Am Sonntag wird Tony Conrad in Wien erwartet, er wird eine Woche bleiben, und schon die Liste der Mitveranstalter deutet darauf hin, welch spielerisch freier Kunstsinn hier herrscht: Sixpackfilm, das Österreichische Filmmuseum, Wien Modern, brut, Fluc und die Akademie der bildenden Künste haben alle zu diesem von Michaela Grill, Berno Odo Polzer und Thomas Schäfer kuratierten In-Person-Programm beigetragen.

DreaMinimalist

Der Film von Marie Losier bildet den Rahmen. Zweimal wird er gezeigt, dazwischen wird Tony Conrad in allen seinen Rollen als Musiker, Musikologe, Filmemacher, Denker, Performancekünstler und Spaßmacher agieren.

Lange Zeit hatte man ihn als einen weniger bedeutenden Kollegen von John Cage geführt, als weiteres Mitglied des Dream Syndi-cate. In Wien wird nun aber die ganze Bandbreite der musikalischen Interessen von Tony Conrad erfahrbar werden. Schon am Sonntag steht ein Streichkonzert auf dem Programm, bei dem die Instrumente speziell gestimmt werden und so eine "Erforschung eines bestimmten Intervalls - der kleinen und der großen Terz" erlauben.

Am Montag wird er in einer Lecture im Semperdepot über seine musikalischen Interessen sprechen, und am Dienstag wird er selbst bei einem Noise-Projekt in der Fluc Wanne zum Objekt der Rezeptionsgeschichte: Drei Elektroniker werden sich mit seinem Werk "lärmend" beschäftigen. Am Donnerstag wird schließlich der Filmkünstler Conrad gewürdigt. Sein The Flicker aus dem Jahr 1965 gilt als Meilenstein des experimentellen Kinos - die hypnotisch pochende Abfolge von schwarzen und weißen Bildern setzt den Blick frei für ein Sehen, das an der Grenze zwischen physiologischem Reflex und freier Imagination stattfindet.

Der Kunsthistoriker Branden W. Joseph, der gerade eine Monografie zu Tony Conrad veröffentlicht hat, sieht in The Flicker "Kreisläufe von Automation und Rückkopplung", die sich direkt auf die Kontrollgesellschaft beziehen lassen. In Person wird Tony Conrad ein anderes, weniger theorieverliebtes Vokabular finden für das, was er tut. Er wird aus seiner Praxis heraus argumentieren, und wenn Wien Glück hat, wird er vielleicht sogar ein Glas mit seinem "eingelegten Film" mitbringen. (Bert Rebhandl, DER STANDARD/Printausgabe, 25./26.10.2008)

 

Wien Modern macht schlau
Das Festival widmet sich dieses Jahr der Hirnforschung

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Wien/Zürich - "Hören, spielen, lieben, verehren - und das Maul halten", meinte einst der begabte Amateurgeiger Albert Einstein. Das (Nicht-)Verhältnis von Musik und Wissenschaft hat sich in den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten durch die Fortschritte der Hirnforschung gründlich geändert. Am Beginn stand freilich ein wissenschaftliches Märchen, wie Lutz Jäncke sagt: die 1993 publizierte Behauptung, dass sich durch das Hören von Mozarts Musik unsere Denkleistung erhöhen würde.

"Der Mozart-Effekt hat sich in der Zwischenzeit als Irrtum herausgestellt", so der Neuropsychologe von der Uni Zürch, der am 1. November den Eröffnungsvortrag des Wien-Modern-Schwerpunkts "Musik & Gehirn" halten wird. "Die mannigfaltigen positiven Wirkungen des Musizierens auf die grauen Zellen hingegen sind gut dokumentiert", so Jäncke, der unter dem Titel Macht Musik schlau? gerade ein Buch zum Thema vorlegte. Bis zum 5. November folgen Vorträge unter anderem von Vittorio Gallese, des italienischen Mitentdeckers der Spiegelneuronen. Oder von Stefan Koelsch, der bei seinen Studien herausfand, dass das Gehirn Sprache ähnlich wie Musik verarbeitet und umgekehrt.

Mit der Musik, die bei Wien Modern zu hören sein wird, befasst sich indes nur der Neurologe Eckart Altenmüller. Er wird analysieren, was sich im Kopf des Flötisten Michael Schmid und seiner Zuhörer tut, wenn Stücke des Komponisten Brian Ferneyhough interpretiert werden. (Klaus Taschwer, DER STANDARD/Printausgabe, 25./26.10.2008)