"Mammaherz"-Autor Roberto Alajmo liest in der Wiener Hauptbücherei

Foto: Haymon-Verlag

Wien - Auf Sizilien fehlt es nie an Neuigkeiten. Vulkanausbrüche, Erdbeben. Arbeitslosigkeit, Flüchtlingsströme, die Mafia. Es sei also, sagt Roberto Alajmo, nicht weiter verwunderlich, dass die Insel so viele Schriftsteller hervorgebracht hat. Lebende sizilianische Autoren wie Camilleri oder Consolo sind dafür bekannt, dass das Verbrechen bei ihnen eine Rolle spielt.

Als Nachfolger eines Leonardo Sciascia sähe sich also nicht nur Alajmo gern, der am Freitag im Rahmen der Kriminacht in der Wiener Hauptbücherei liest (19 Uhr). Sciascias Romane allerdings sind keine Krimis. Es sind weit größer angelegte Geschichten über das Verbrechen, in denen Sizilien als Metapher für europäische Verhältnisse analysiert wird. Der Kriminalfall, und darin eifert eben Alajmo dem großen modernen Aufklärer nach, ist immer nur der Anlass, nie der Inhalt einer Geschichte. In dem 2003 in hoher Auflage in Italien erschienenen Roman Mammaherz (nun bei Haymon herausgekommen und neben einem Antireiseführer mit dem attraktiven Titel Palermo sehen und sterben die bislang einzige Übersetzung Alajmos ins Deutsche), hält der Autor den Leser durch die Aussparung des Krimis konsequent hin.

Ein sogenannter Krimi, der immer wieder stark ins skurrile Fach ausschert und dabei ganz ohne Commissario auskommt: Cosimo, über den man sich im Dorf beunruhigende Geschichten erzählt, geht ein Geschäft mit "denen", mit der Mafia also, ein. In seinem einsam gelegenen Haus erklärt er sich bereit, für zwei Tage ein Kind zu hüten - gegen eine bestimmte Geldsumme natürlich. Doch das Kind sitzt nun schon eine Woche in Cosimos Gästezimmer gefangen, und die geschäftigen Typen haben es nicht abgeholt, sind unauffindbar. Und weil Cosimo dieses Problem allein nicht lösen kann, holt er seine Mutter zur Hilfe ins Haus: eine Erzeugerin, die dem Bild der fürsorglichen "Mamma" nicht ganz entspricht.

Allein unter der Sonne

Alajmo, der im Brotberuf als Journalist im dritten Kanal des Staatsfernsehens arbeitet, Reportagen verfasst und einen populären Internet-Blog schreibt, widmet sich in weiten Teilen seines Romans den Gesprächen zwischen Mutter und Sohn - und dem kulinarischen Selbstbewusstsein der resoluten Frau ("Heißt das, mein Brociolone schmeckt dir nicht?!").

Durch den einsamen Cosimo, der sich mit Rätselheften beschäftigt, während er auf der staubigen, sonnenheißen Straße vor seiner Fahrradwerkstätte sitzt und auf Kunden wartet, die niemals kommen, schildert Alajmo Mentalität und Hierarchie eines sizilianischen Dorfes, das nach eigenen Regeln funktioniert. Hier werden Mythen auf der Piazza erfunden; hier beseitigt man Probleme, indem man neue schafft; hier pflegen Mutter und Sohn eine klar durch Huldigung und Abhängigkeit bestimmte Beziehung.

So kreist Alajmo das Verbrechen, das sich als schwammiger Fleck kaum klar sehen lässt, mit allen Mitteln der Verlangsamung bedächtig ein. Und doch muss man sich in diesem seltsamen Dorf die Bullen und den Mord erst selbst konstruieren. Am Ende könnten Mutter und Sohn die ganze Geschichte auch bloß erfunden haben. (Isabella Hager / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 23.10.2008)