Der automatisierte computergestützte Handel macht in den USA mehr als die Hälfte aller Aktientransaktionen aus

Wo eine (Finanz-)Krise ist, ist auch die Suche nach Verantwortlichen nicht weit. Wie schon bei anderen Börsencrashs richtet sich beim gegenwärtigen Finanzkollaps der beschuldigende Zeigefinger auch auf die „Quants". Also auf jene Spezialisten, die komplexe Computerprogramme entwickelt haben, die den Markt für komplizierte Finanzderivate angetrieben haben, der wiederum, eh schon wissen, zum gegenwärtigen Finanzkollaps führte.

Automatisch mithilfe von Computersystemen

Seit den 1980er-Jahren werden große Mengen Aktien und Anleihen (und Derivate davon) zunehmend automatisch mithilfe von Computersystemen gehandelt. In den USA macht der auf Algorithmen basierende computergestützte Handel bereits mehr als die Hälfte aller Aktientransaktionen aus. Auch an der Wiener Börse läuft der Handel immer stärker automatisiert ab - wie groß der Anteil des „Algo-Tradings" ist, wird derzeit erhoben.

Automatisierter Handel ermöglicht es, auf Basis vordefinierter quantitativer Modelle Orders ohne menschliches Eingreifen an der Börse aufzugeben - und das in atemberaubender Zeit. „In der Zeit, in der Sie diesen Satz lesen, können bereits mehrere Hundert Aktienpakete im Wert von Zigmillionen Euro ihren Besitzer gewechselt haben", veranschaulichte die Wirtschaftswoche einmal in einem Beitrag die Geschwindigkeit.

Kontrolle

Kritiker behaupten, der Mensch habe durch den regen Datenverkehr längst die Kontrolle über die Geschäfte verloren. Viele Portfolio-Manager hätten inzwischen vor der Komplexität der Systeme kapituliert und machten sich gar nicht mehr die Mühe zu verstehen, was ihre Computer im Einzelnen machten. Die Computer mancher besonders aktiver Händler schicken längst mehrere Hunderttausend Orders pro Tag an die Börsen.

Die besten und hellsten Geeks

„Irgendwie haben diese genialen Quants - die besten und hellsten Geeks, die Wall-Street-Unternehmen sich leisten können - ihre Supercomputer mit einer Billion Dollar mäßig besicherter Hypothekarpapiere gefüttert, ein paar Derivate hinzugegeben, das Ganze mit ein paar Computeralgorithmen durchmassiert und - poof! - ein imaginäres Vermögen von 62 Billionen Dollar geschaffen", unkte der US-Autor Richard Dooling vor kurzem in der New York Times.

Die Kritik an den rechnergesteuerten Investments ist nicht neu. Sie wurden schon vor zwanzig Jahren laut, als die Börsen am 19. Oktober 1987 weltweit um bis zu 45 Prozent einbrachen. Auch hier waren Tradingprogramme, die große Mengen von Kauf- oder Verkaufsorders gleichzeitig bewältigen könnten, schnell als Sündenbock ausgemacht.

Fehlschläge

„In den meisten Banken sind nicht die Quants die Entscheider", gibt allerdings Steven Shreve in einem Kommentar auf Forbes.com zu bedenken. Diese hätten nie verheimlicht, dass ihre Modelle auch fehlschlagen könnten. Die einzige Möglichkeit für Banken, eine Krise wie die jetzige zu vermeiden, sei es, alle Risiken zu erwägen, inklusive jenes Risikos, dass ihre Finanzmodelle falsche Ergebnisse erbringen. (Karin Tzschentke, DER STANDARD Printausgabe, 22. Oktober 2008)