Conrad Bauer: "Der Ausbau von Dachböden sorgt dafür, dass im Zuge dessen die Substanz des Hauses genau überprüft wird."

Foto: ÖIBI

Dachgeschoß-Ausbauten sind teuer, aber wichtig, sagt Conrad Bauer, Architektursprecher des Österreichischen Instituts der Sachverständigen für bautechnische Immobilienbewertung (ÖIBI), zu Gerhard Rodler.

STANDARD: Die Bauvorschriften für Rohdachböden wurden massiv verschärft. Welche Folgen hat das?

Bauer: Es geht um rund tausend Dachausbauten in Wien, die in den vergangenen zwei bis drei Jahren eine Baugenehmigung erhalten haben und bei denen niemand sagen kann, ob sie nun so gebaut werden dürfen oder nicht. Trotz Baugenehmigung ist eine Einstellung der Baustelle nicht auszuschließen. Jetzt zu bauen ist demnach ein Risikospiel.

STANDARD: Wie kann das sein, dass trotz erteilter Baubewilligung nicht gebaut werden darf?

Bauer: Die Erdbebenverordnung ist relativ neu. In Absprache mit der Bauwirtschaft und den Kammern wurde diese Regelung in Wien eingeführt. Die Verordnung ließ zu Beginn noch einen gewissen Gestaltungsspielraum zu. Nach und nach wurden einige Bestimmungen verschärft, und ein Ende ist nicht abzusehen.

STANDARD: Um welche Verschärfungen handelt es sich da?

Bauer: Vorrangig geht es um den Begriff "Stand der Technik". Aufgrund der neuen Erdbebennormen und -verordnungen sind die Auflagen zum Teil so groß, dass sich ein Dachbodenausbau nicht mehr rentiert, weil beispielsweise das ganze Haus verpresst werden muss.

STANDARD: Warum so hohe Auflagen?

Bauer: Es gibt in Wien derzeit rund 36.000 Wohngebäude, die über 80 Jahre alt sind. Das sind umgelegt rund 280.000 Wohnungen, und die machen 32 Prozent des Wiener Wohnungsbestandes aus. Einige von denen sind tatsächlich in einem sehr bedenklichen Zustand. Zwischen 1870 und 1910 war in Wien Zement knapp. Manche Häuser wurden damals nur mit Mörtel errichtet, Zement kam nur geringfügig vor. Einige dieser Gebäude haben nun scheinbar das Ende ihrer Lebenszeit erreicht.

STANDARD: Von wie vielen potenziell gefährdeten Häusern sprechen wir?

Bauer: Schwer zu sagen. Es gibt bis jetzt keine fundierte wissenschaftliche Untersuchung. Laut Aussagen hochrangiger Baupolizisten könnte es sich um fünf bis zehn Prozent der bestehenden Gründerzeithäuser handeln.

STANDARD: Was kann passieren?

Bauer: Im schlimmsten Fall kann das Gebäude wie ein Kartenhaus zusammenfallen. Sollten die Außenwände im Erdbebenfall nachgeben, rutschen die Decken von den Wänden, und das ganze Gebäude klappt zusammen wie ein Kartenhaus. Aber ich möchte betonen: Die größere und deutlich unterschätzte Gefahr in Gründerzeithäusern sind durchnässte Bauteile, beispielsweise abgemorschte Hölzer unter Nassräumen.

STANDARD: Gab es derartige Einstürze in jüngster Vergangenheit?

Bauer: Es gab schon mehrere Fälle, in denen Häuser mehr oder weniger in letzter Minute von der Feuerwehr geräumt werden mussten. Meistens waren es Umbauarbeiten oder Dachgeschoß-Ausbauten, die zum Entdecken der Einsturzgefahr führten. Doch bis dato ist in Wien noch kein Haus mit Bewohnern tatsächlich zusammengebrochen.

STANDARD: Wie geht's weiter?

Bauer: Es ist meines Erachtens kontraproduktiv, den weiteren Ausbau von Dachböden in Gründerzeithäusern zu blockieren. Er sorgt nämlich dafür, dass bei diesen Objekten die Substanz des Hauses genauestens überprüft wird. Durch geeignete Maßnahmen kann die Lebenszeiten dieser Häuser verlängert werden. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 18./19.10.2008)