Foto: Hoanzl

Für Puristen des Genres mag es natürlich hart sein, wenn der die Szene jahrzehntelang bestimmende, in die Magengrube fahrende und für Herz- und Lautsprecherboxenflattern sorgende Bass eliminiert wird. Und auch die mit dem Computerprogramm Auto Tune ansonsten nur dezent im US-amerikanischen R 'n' B und kommerziellen Trash-Pop einer Britney Spears unternommene Stimmmodulation hin zum richtigen Ton, die hier exzessiv zum Einsatz kommt und klingt, als würde man einem sprechenden Roboter den Saft auspressen, ist gewöhnungsbedürftig. Dennoch sorgen diese für die jamaikanische Dancehall-Szene außergewöhnlichen Innovationen speziell seit Busy Signals ersten Singles wie Step Out aus 2005 zunehmend für eine kreative Neuausrichtung der Dancehall-Szene.

Nicht nur Gangsterkriege US-amerikanischen Zuschnitts und ein kapitalistisches Faustrecht des Stärkeren werden hier mit dicken Joints, Autos, in den Videoclips wackelnden Frauenpopos und Schmuck beherzt kultiviert. Im Gegensatz zu den USA und dem harten Macho-Geprotze erfahren die im Kommerz wildernden Tracks eines Busy Signal, Mavado, Demarco oder Bugle durch ihre starke, aus Neo-Soul und Gospel abgeleitete Melodienseligkeit einen Schub, der mittlerweile verstärkt in die USA zurückstrahlt. Immerhin müssen ja auch US-Starproduzenten wie Timbaland oder Pharrell ab und zu auf die Jagd nach neuen Ideen gehen. Da ist es nur unrecht, aber billig, wenn man sich im Dritte-Welt-Land Jamaika bedient.

Mit Mitte 20 gilt Busy Signal alias Reanno Gordon spätestens ab dem jetzt vorliegenden neuen Album Loaded (Vertrieb: Hoanzl) als bestimmender Mann. Der legt für die neuen Songs sein möglicherweise gar nicht einmal so sehr gespieltes Gangster-Image ab und gibt sich als frischgebackener Familienvater im Gegensatz zu härteren Kalibern wie Mavado (Gangster for Life) nun als besonnener Chronist und Fürsprecher der jamaikanischen Ghettorealität.

Ob man mit solch beherzter Neuausrichtung der durchaus auch immer wieder gewalttätigen jamaikanischen Musikszene entkommt, um den Arbeitsschwerpunkt im Internationalen zu suchen, sei einmal dahingestellt. Immerhin war auch schon Busy Signal in diverse gewalttätige Auseinandersetzungen involviert.

Mit Tracks wie der schon länger bekannten Single These Are the Days oder dem Hit Wine Pon Di Edge und neueren Titeln wie dem gemeinsam mit dem italienisch-jamaikanischen Produzenten Alborosie eingespielten Murderer oder Face Life featuring Demarco steht Busy Signal jedenfalls in seiner Heimat 2008 relativ unangefochten an der Spitze.

Ureigene Sprache

Zu schweren, symphonisch mit Orchester-Samples aufgeladenen Dancehall-Tunes, dem dringlichen Gequäke im Zeichen des besagten Auto-Tunes-Programms und fröhlichem Computerspiel-Geklingel sowie hübschen Ethno-Samples aus der Esoterikabteilung (Harfen, Nasenflöten, Klavierklimbim ...) erklingt bei Busy Signal jedenfalls mit dringlicher Stimme der Soundtrack einer jungen Generation Jamaikas, die trotz ihrer geografischen wie gesellschaftlichen Ausgrenzung ganz prächtig dazu imstande ist, sich auf ureigenstem Terrain in eigener Sprache auszudrücken. Mit Dancehall der ursprünglichen Prägung hat das alles nur mehr nebenher zu tun. Dementsprechend spannend wird es zu beobachten sein, wie diese Musik außerhalb der Spezialistenkreise verarbeitet werden wird. Innerhalb des jamaikanischen Systems hat Busy Signal schon jetzt gewonnen. (Christian Schachinger / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 17.10.2008)